Die Qualifizierung hat mein Leben verändert

Datum
08.10.2018

Im Seminarraum G203 am Campus Zweibrücken der Hochschule Kaiserslautern geht es hoch her: 15 Ingenieurinnen und Ingenieure aus Syrien, Afghanistan, Weißrussland, Marokko und der Zentralafrikanischen Republik diskutieren über die Konstruktion eines Gewächshauses, das mit Hilfe von Sonnenenergie vollautomatisch gesteuert und bewässert werden soll. Sie verständigen sich auf Deutsch - und immer wieder gibt es etwas zu lachen, wenn sie gestenreich versuchen, sich schwierige Fachbegriffe wie "Regenwasserfilter mit Selbstreinigungsfunktion" gegenseitig zu erklären.

Eine Gruppe Menschen
Im Juli 2018 haben 15 zugewanderte Ingenieurinnen und Ingenieure die aktuelle Qualifizierung an der Hochschule Kaiserslautern begonnen. Fachlich kommen sie aus ganz unterschiedlichen Bereichen: Sie haben Informatik studiert, Elektrotechnik, Biologie und Physik. © Hochschule Kaiserslautern

Das Gewächshaus-Projekt ist Teil der Ingenieurwissenschaftlichen abschlussorientierten Qualifizierung (IAQ) der Hochschule Kaiserslautern, die die internationalen Fachkräfte besuchen. Das Programm des Aus- und Weiterbildungsnetzwerks pro-mst an der Hochschule unterstützt zugewanderte Ingenieurinnen und Ingenieure beim Einstieg in den deutschen Arbeitsmarkt. Gefördert wird es im Rahmen des ESF-Programms Integration durch Qualifizieren (IQ) in den IQ Landesnetzwerken Rheinland-Pfalz und Saarland.

Seit 2016 wird die Weiterbildung an der Hochschule Kaiserslautern durchgeführt. Nach zwei Jahren Laufzeit kann eine erfolgreiche Bilanz gezogen werden: "85 Prozent unserer Absolventinnen und Absolventen ist unmittelbar nach der Qualifizierung der Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt gelungen. Sie arbeiten entsprechend ihrer Qualifikation als IT-Fachkräfte, Ingenieurinnen oder Ingenieure, Technikerinnen oder Techniker in Zukunftsfeldern wie E-Mobility, Umweltschutz oder Energie- und Ressourceneffizienz", erzählt Projektleiterin Silke Weber.

Die hohe Vermittlungsquote bestätigt das Konzept der Hochschule Kaiserslautern, sich gezielt auf die besondere Lage der Zugewanderten einzustellen und in engem Austausch mit Unternehmen an ihrer Integration zu arbeiten.

Wie die Situation vieler zugewanderter Fachkräfte aussieht, beschreibt IAQ-Absolvent Karam Aljuraatly, Maschinenbauingenieur aus Syrien: "Die Qualifizierung hat mein Leben verändert. Ich habe eine Stelle in einem Ingenieurbüro gefunden und kann in Deutschland in meinem Traumberuf als Konstrukteur arbeiten - anders als viele andere syrische Ingenieure, die in ihrem Bereich keine Stellen finden und als Aushilfen arbeiten müssen."

Personen in einer Messehalle
Karam Aljuraatly auf der Interregionalen Jobmesse in Saarbrücken © Hochschule Kaiserslautern

Wie seine bislang erfolglosen Kollegen hatte auch Karam Aljuraatly vor der Weiterbildung an der Hochschule Dutzende von Bewerbungen geschrieben. "Ich habe nur Absagen erhalten, mit der Begründung: zu wenig Erfahrung", erinnert er sich.

Doch wie sollten die Zugewanderten Erfahrungen sammeln? In Deutschland angekommen, sind sie zunächst ein bis zwei Jahre intensiv damit beschäftigt, Deutsch zu lernen und sich in der neuen Kultur zurechtzufinden. "In dieser Zeit können wir nicht in unseren Berufen arbeiten. Ähnlich wie bei einer Fremdsprache, die man nicht ständig spricht, verliert man dabei Fertigkeiten", sagt Aljuraatly.

Bei der Ingenieurwissenschaftlichen Qualifizierung an der Hochschule Kaiserslautern haben sie die Möglichkeit, an ihre fachlichen Kenntnisse anzuknüpfen, Kompetenzen zu vertiefen und Neues zu lernen. Über sechs Monate werden die Migrantinnen und Migranten auf diese Weise intensiv auf den Arbeitsmarkt vorbereitet. Karam Aljuraatly arbeitete sich in dieser Zeit in zwei neue Systeme für computergestütztes Konstruieren sowie deutsche Normen im Maschinenbau ein.

Auf dem Programm stehen jedoch nicht nur fachliche Weiterbildung, sondern auch Fachsprachkurse, Arbeitskultur in Deutschland und Soft Skills wie Projektmanagement, Teamarbeit und Präsentationstechniken. Anschließend an eine individuelle Kompetenzfeststellung werden fachliche und personale Kompetenzen ermittelt. "Ziel ist, die Studierenden dort abzuholen, wo sie stehen. Hier setzen wir mit der Anpassungsqualifizierung an. Dabei haben wir die Bedarfe der Wirtschaft und ganz konkret jener Unternehmen im Blick, mit denen wir bereits während der Hochschulphase in engem Kontakt stehen", so Projektleiterin Silke Weber.

"Mit diesem Angebot trägt unsere Hochschule nicht nur zur Integration von Geflüchteten bei, sondern leistet auch einen Beitrag zur Fachkräftesicherung", sagt Professor Hans-Joachim Schmidt, Präsident der Hochschule Kaiserslautern. "Damit profitieren von diesem sehr erfolgreichen Projekt beide: die Menschen und die Firmen in der Region."

Eine Gruppe Menschen
IAQ-Teilnehmende aus dem Saarland beim Besuch des VDI-Recruiting-Tages 2018 in Ludwigsburg. Auf Jobmessen knüpfen sie wertvolle Kontakte zu Unternehmen. © Hochschule Kaiserslautern

"Mich hat überzeugt, dass sich Herr Aljuraatly bereits an der Hochschule mit dem deutschen Normensystem im Maschinenbau vertraut gemacht und computergestütztes Konstruieren vertieft hat", berichtet André Althoff, Niederlassungsleiter von Schuler Konstruktionen in Koblenz, das Ingenieurbüro, in dem der IAQ-Absolvent seine neue Stelle antritt. Beeindruckt war er zudem von der Energie, die der Kandidat beim Vorstellungsgespräch ausgestrahlt hat.

"Menschen, die unter unwägbaren Risiken ihr Heimatland wegen Krieg oder politischer Verfolgung verlassen müssen, zeichnen sich oft durch hohe Motivation, Zielstrebigkeit und Flexibilität aus", sagt Professor Antoni Picard, wissenschaftlicher Berater der Ingenieurwissenschaftlichen Qualifizierung an der Hochschule Kaiserslautern. "Viele arbeiten hart, um den Einstieg in den deutschen Arbeitsmarkt zu schaffen."

Individuell werden sie am Campus Zweibrücken dabei unterstützt: Die Lebensmittel-Ingenieurin aus Rumänien lernt neue Analyse-Methoden im Labor, der Medizintechnik-Ingenieur aus Syrien studiert Gesetze für Medizinprodukte in Deutschland in Vorlesungen, die er gemeinsam mit deutschen Studierenden am Campus besucht.

Vom Austausch mit den Studierenden, Lehrkräften sowie ihren Betreuerinnen und Betreuern an der Hochschule profitieren die Zugewanderten nicht nur fachlich, sondern auch menschlich. "Hier habe ich gelernt, im Team zu arbeiten", erzählt Sayed Hussaini, Informatiker aus Afghanistan. "Es ist eine Herausforderung, mit Menschen aus so vielen unterschiedlichen Nationen an einem gemeinsamen Projekt, wie dem Gewächshaus, zu arbeiten." Das bereite gut auf den Arbeitsalltag in Deutschland vor, wo fachlich mehr diskutiert werde, als er es aus seiner Heimat kenne. Er habe durch die Wertschätzung, die er an der Hochschule erfahren habe, neues Vertrauen in seine Fähigkeiten gewonnen, so Hussaini. Bei der Ingenieurwissenschaftlichen Qualifizierung habe er sich gefühlt "wie im Schatten unter Bäumen, an einem heißen Tag im Sommer".

Basiert auf einem Artikel von: Regina Vögel

Kontakt:
Regina Vögel, IAQ-Koordinatorin
Tel.: 0631 3224-5407
E-Mail: regina.voegel@hs-kl.de