Chancen nutzen, Hürden überwinden:
Mit Qualifizierungsbegleitung in den Arbeitsmarkt

Datum
24.07.2019

Viele zugewanderte Fachkräfte finden keinen Zugang in eine Beschäftigung, die ihren Qualifikationen entspricht. Sie brauchen zusätzliche fachliche und sprachliche Qualifizierungen, sind mit den "Spielregeln" am deutschen Arbeitsmarkt nicht vertraut und benötigen Selbstvermarktungs- und interkulturelle Kompetenzen. Hier sind Unterstützungs- und Begleitangebote gefragt, die mit der Fachkraft gemeinsam Perspektiven in den Arbeitsmarkt entwickeln. Diesen individuellen Ansatz verfolgt die Qualifizierungsbegleitung "Internationale Fachkräfte qualifizieren sich für den Arbeitsmarkt (InFA)" bei der IB Südwest gGmbH im IQ Netzwerk Hessen.

Projektleiterin Anette Noll-Wagner spricht im Interview über die Besonderheiten des ESF-geförderten IQ-Projekts und erläutert, was die Qualifizierungsbegleitung zur Umsetzung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes beitragen kann.

Eine Frau im Garten
Projektleiterin des InFa-Projekts: Annette Noll-Wagner © Internationaler Bund IB Südwest gGmbH

Was ist das Besondere an der Qualifizierungsbegleitung? Worin unterscheidet sie sich von anderen Qualifizierungsangeboten?

Anette Noll-Wagner:

Das Projekt "InFA" hat sehr unterschiedliche Zielgruppen im Fokus und fährt dennoch einen individuellen Ansatz. Unser Angebot ist darauf ausgerichtet, die unterschiedlichen Herausforderungen, die sich der Fachkraft stellen, in den Blick zu nehmen. Zu Beginn erarbeiten wir gemeinsam einen passgenauen Qualifizierungsplan. Ziel ist dabei immer die bildungs- und qualifikationsadäquate Beschäftigung der Fachkräfte. Wir orientieren uns an den beruflichen Fähigkeiten und der persönlichen Ausgangssituation, reagieren auf fachliche Defizite und vermitteln wichtige Kompetenzen für den Einstieg in das Berufsleben. Diese umfassen Kenntnisse über den Arbeitsmarkt und das berufliche Bildungssystem in Deutschland, aber auch die Fähigkeit, sich selbst darzustellen. Nicht zuletzt müssen sich die Personen ihr Wissen in einer Zweitsprache aneignen. Daher verknüpfen wir in unserem Projekt die theoretischen Angebote mit integriertem Fach- und Sprachlernen.

Darüber hinaus sensibilisieren wir die Fachkräfte im Rahmen eines interkulturellen Trainings für ihre eigenen Prägungen und thematisieren, wie sich diese in Bezug auf den Arbeitsmarktzugang auswirken können. Die Teilnehmenden lernen, ihr eigenes Verhalten zu beobachten, ohne es zu bewerten, mit den Herausforderungen des Arbeitsmarktes abzugleichen und eigene, für sich passende Handlungsstrategien zu entwickeln.

Wer kann an der Qualifizierungsbegleitung teilnehmen?

Anette Noll-Wagner:

Wir begleiten Fachkräfte mit Bildungsabschlüssen analog zu den deutschen dualen Ausbildungsberufen (IHK, HWK) sowie Fachkräfte mit fachschulischen Abschlüssen, zum Beispiel Zahntechnikerinnen und Zahntechniker. Dabei unterstützen wir sie bei der Umsetzung von Anpassungs- oder Nachqualifizierungen, die sie für die volle Anerkennung ihrer ausländischen Qualifikation benötigen. Nehmen wir zum Beispiel eine Teilnehmerin mit teilweiser Anerkennung als Kauffrau für Büromanagement. Auf Basis des Anerkennungsbescheids der IHK FOSA entwickeln wir einen Qualifizierungsplan, helfen bei der Suche nach einem geeigneten Betrieb, der sie für die Anpassungsqualifizierung aufnimmt und übernehmen die Abstimmung.

Wir unterstützen aber auch Fachkräfte, die keine Aussicht auf Anerkennung ihres Berufsabschlusses haben oder für die es im deutschen Bildungssystem keinen passenden Referenzberuf gibt. Auch sie haben ja fachlich nutzbares Wissen. Diese Personen begleiten wir im Sinne einer Berufswegeplanung: das heißt, wir nehmen die berufsfachlichen Erfahrungen in den Blick und zeigen alternative Wege zu einem Berufseinstieg auf.

Die Qualifizierungsbegleitung richtet sich aber auch an zugewanderte Akademikerinnen und Akademiker.

Anette Noll-Wagner:

Richtig. Wir unterstützen Akademikerinnen und Akademiker mit nicht-reglementierten Studienabschlüssen und suchen gemeinsam nach Strategien, damit sie auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen können. Trotz des Fachkräftemangels ist der Zugang in eine qualifikationsadäquate Beschäftigung für sie nicht einfach. Denn häufig wird gerade von ihnen eine hohe Eigeninitiative erwartet. Wenn sie die Gelegenheit zu einem Vorstellungsgespräch erhalten, müssen sie deutlich machen, dass sie als Fachkraft zur Lösung eines Problems im Unternehmen beitragen können. Viele haben aber nur geringe Erfahrungen in der "Selbstvermarktung" und kennen diese Form der Präsentation aus ihrem bisherigen Berufsleben nicht. Die Qualifizierungsbegleitung greift dies auf: Neue Denkrichtungen werden angestoßen, der eigene "Selbstwert" reflektiert und aufgebaut und Sprechängste überwunden, zum Beispiel bei der Kontaktaufnahme auf Messen oder bei Telefonaten mit potenziellen Arbeitgebern. Viele von ihnen haben bereits dadurch einen Weg in den Arbeitsmarkt finden können.

Unser breites Zielgruppenspektrum erfordert ein differenziertes methodisches und konzeptionelles Vorgehen. Wir prüfen daher genau, wann ein Gruppenangebot sinnvoll ist und wann eine individuelle Qualifizierungsbegleitung. Schon das Beispiel des Ingenieurwesens zeigt: Selbst wenn wir uns nur einen Ingenieurstudiengang wie Maschinenbau anschauen, sind die Zugänge in den Beruf sehr unterschiedlich. Aus welchem fachlichen Bereich kommt die Fachkraft? Welche beruflichen Erfahrungen hat sie? In welchen Regionen gibt es besonders viele Arbeitsplätze? Wie mobil ist die Person? All das berücksichtigen wir und können dadurch individuelle Unterstützungsangebote für die erfolgreiche Gestaltung der Integration in den Arbeitsmarkt entwickeln. Und unsere Erfahrung zeigt: Diese Analyse bildet eine gute Grundlage für die kooperierenden Jobcenter, um die Finanzierung von erforderlichen Qualifizierungsmaßnahmen zu übernehmen.

Um ein solches Konzept erfolgreich umzusetzen, müssen Sie in den Regionen gut vernetzt sein. Wer sind Ihre Kooperationspartner?

Anette Noll-Wagner:

Durch die enge Kooperation mit der "Anerkennungsberatung des IQ Netzwerks Hessen" und den Jobcentern vor Ort haben wir Teilnehmende aus fast allen Landkreisen und kreisfreien Städten in Hessen erreicht. Wir setzen "InFA" an drei Standorten um und erreichen damit in Kassel Personen aus Nordhessen, in Wetzlar Personen aus Mittelhessen und in Darmstadt Personen aus dem Rhein-Main-Gebiet und Südhessen. Da auch die Anerkennungsberatung Angebote in allen hessischen Regionen vorhält, ist eine Vernetzung im gesamten Bundesland möglich. Zudem sind wir in engem Kontakt mit den anerkennenden Stellen. Denn die Anpassungsqualifizierungen sollen am Ende ja auch zu einer vollen Gleichwertigkeit führen.

Um insbesondere den ländlichen Raum in Zukunft noch besser zu versorgen, werden wir unser Beratungs- und Begleitungsangebot stärker auf das Online-Coaching ausrichten. Damit können Teilnehmende auch dann unterstützt werden, wenn sie weite Fahrwege haben.

Was kann die Qualifizierungsbegleitung zur Umsetzung des Fachkräfteeinwanderungs-gesetzes beitragen?

Anette Noll-Wagner:

Dadurch, dass wir mit unseren Begleitmaßnahmen in engem Kontakt mit den Betrieben stehen, können wir die rechtlichen Neuerungen des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes zur Sprache bringen. Denn die Unternehmen haben dazu viele Fragen, unter anderem wie die Integration am Arbeitsplatz gelingen kann. Mithilfe von Sprachcoaching können wir beispielsweise Fachkräfte unterstützen, ihre sprachliche Handlungskompetenz bezogen auf den Arbeitsplatz zu stärken und Sprachbarrieren abzubauen. Davon profitieren nicht zuletzt die Unternehmen, denn für die Mitarbeitenden, die sich sprachlich weiterentwickeln, gibt es mehr Einsatzbereiche im Betrieb. Letztendlich ist eines unserer zentralen Ziele, dass die Betriebe die Fachkräfte mit ihren Potenzialen erkennen und als Chance begreifen, um neue, qualifizierte Arbeitskräfte zu gewinnen.

"Ich habe mir am Anfang in Deutschland alles viel einfacher vorgestellt!" - Diese Erfahrungen teilen viele Fachkräfte. Unterstützungsleistungen wie die Qualifizierungsbegleitung können gerade im Zusammenhang mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz eine wichtige Rolle spielen: Sie begleiten die Fachkräfte bei der Integration am Arbeitsplatz und sind damit eine wichtige Stellschraube im Integrationsprozess.

Vielen Dank für das Interview, Frau Noll-Wagner.

Weitere Informationen zur Qualifizierungsbegleitung "InFA" finden Sie auf www.hessen.netzwerk-iq.de/angebote-infa

Das Förderprogramm "Integration durch Qualifizierung (IQ)" arbeitet seit 2005 an der Zielsetzung, die Arbeitsmarktchancen für Menschen mit Migrationshintergrund zu verbessern. Von zentralem Interesse ist, dass im Ausland erworbene Berufsabschlüsse - unabhängig vom Aufenthaltstitel - häufiger in eine bildungsadäquate Beschäftigung münden.

Das in allen 16 Bundesländern mit etwa 330 Teilprojekten aktive Förderprogramm IQ hat sich in den vergangenen Jahren als wichtige Adresse für Zugewanderte und Geflüchtete erwiesen, die eine Arbeitsmarktintegration anstreben. Es wird durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und den Europäischen Sozialfonds (ESF) gefördert. Partner in der Umsetzung sind das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und die Bundesagentur für Arbeit (BA).

Weitere Informationen zum Förderprogramm "Integration durch Qualifizierung (IQ)" stehen auf dem ESF-Portal sowie auf der Website des Programms.