Interview mit Egbert Holthuis, Leiter des Länderreferats D5 bei der Generaldirektion Beschäftigung, Soziales und Integration der Europäischen Kommission, das u.a. für den ESF in Deutschland zuständig ist
- Datum
- 12.04.2017
Newsletter-Team: Herr Holthuis, Sie sind bei der EU zuständig für den ESF in Deutschland. Was können sich unsere Leserinnen und Leser darunter vorstellen?
Herr Holthuis: Als Leiter eines Länderreferates unserer Generaldirektion Beschäftigung, Soziales und Integration bin ich für insgesamt vier Mitgliedstaaten zuständig: Neben Deutschland auch noch für Österreich, Slowenien und Kroatien. Im Bereich des ESF haben wir die Aufgabe, die Umsetzung der Operationellen Programme in diesen Mitgliedstaaten partnerschaftlich zu begleiten. Der Fachbegriff ist hier "Shared Management". Das bedeutet, dass die Verantwortung für die konkrete Umsetzung der Programme und die Auswahl und Förderung von Projekten und Teilnehmenden bei den Mitgliedstaaten liegt. Wir, die Europäische Kommission, prüfen dann an verschiedenen Stellen, ob die Umsetzung der Programme auch mit dem Europäischen Recht übereinstimmend verläuft, z.B. anhand der Umsetzung der jeweiligen Kommunikations- und Evaluationsstrategien oder aber bei der Prüfung der Jahresberichte. Und wir bedienen die Zahlungsanträge der Mitgliedstaaten bzw. Bundesländer, sofern hier keine Gründe entgegenstehen. Ich empfinde unsere Arbeit mit den programmverantwortlichen Stellen in den Mitgliedstaaten als sehr spannend und motivierend. Der regelmäßige Kontakt zeigt mir, wo und wie der ESF tatsächlich etwas für die Menschen bewirken kann.
Neben dem ESF arbeiten wir in den Länderreferaten unserer Generaldirektion auch in der Analyse der jeweiligen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik in den Mitgliedstaaten. Hier sind wir eng in das sog. Europäische Semester, sprich in die Erstellung der Länderberichte, die neulich veröffentlicht wurden, und auch in die Vorbereitung der Länderspezifischen Empfehlungen eingebunden.
Newsletter-Team: Was hat Sie motiviert, diese Aufgabe zu übernehmen?
Herr Holthuis: Es gibt wichtige Ziele, die in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union verfolgt werden müssen. Wir denken selbstverständlich an ein hohes Beschäftigungsniveau, Gleichberechtigung von Männern und Frauen, nachhaltige Entwicklung sowie wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt in der Europäischen Union. Diese Ziele werden alle vom ESF unterstützt und verfolgt. Es ist auch eine große Herausforderung und Ehre, am Europäischen Beitrag zur Investition in Menschen, der vor 60 Jahren mit den Römischen Verträgen von 1957 angefangen hat, beteiligt zu sein. Der ESF ist heute das wichtigste Instrument der Europäischen Union zur Unterstützung junger und älterer Arbeitnehmer und Arbeitsuchender. Es geht hierbei um Förderung von Maßnahmen zur Vermeidung und Bekämpfung von Arbeitslosigkeit sowie Unterstützung des Ausbildungsangebots und einer verbesserten Funktionsweise des Arbeitsmarktes.
Ich möchte hier auch gerne die Wichtigkeit des Konzepts der Partnerschaft, d.h. die vertrauensvolle Zusammenarbeit der Kommission mit den Verwaltungsbehörden in den Mitgliedstaaten betonen. Es ist mir wichtig, die sehr gute Zusammenarbeit zwischen meinem Vorgänger, Herrn Adam Pokorny, und den für die Verwaltung auf Bund- und Länderebene zuständigen Kolleginnen und Kollegen sowie anderen im ESF eingebundenen Partnern in Deutschland weiter zu stärken. Wir hatten eine sehr gelungene Sitzung in Brüssel im Januar und ich freue mich auch auf die Teilnahme an weiteren Begleitausschüssen für den Bund und die 16 Länder, um die Programme vor Ort kennenzulernen und hierüber mit den Schlüsselakteuren in den Verwaltungsbehörden, Sozialen Partnern, NGOs etc. zu diskutieren. Ich bin mir sehr bewusst, dass die Erfolge des ESF unser gemeinsamer Erfolg sind. Ohne harte Arbeit von allen Beteiligten wären diese Resultate heute nicht möglich.
Newsletter-Team: Was war Ihre vorherige berufliche Tätigkeit und was sind die Anknüpfungspunkte zum ESF?
Herr Holthuis: Bevor ich zur EU Kommission kam, habe ich beim Niederländischen Auswärtigen Amt und danach im Forschungsbereich gearbeitet. In der EU Kommission war ich mit Industriepolitik (Stahl und Chemie) beschäftigt und in den letzten 14 Jahren in der Generaldirektion Beschäftigung, Soziales und Integration in den Bereichen Arbeitsmarkt, Sozialpolitik und ESF (Baltische Staaten, Finnland) und seit Oktober 2016 in meinem jetzigen Referat für Deutschland, Österreich, Kroatien und Slowenien.
Newsletter-Team: Der ESF schreibt schon seit 60 Jahren Erfolgsgeschichten. Was haben wir bereits erreicht? Was wollen Sie am Ende dieser Förderperiode erreicht haben?
Herr Holthuis: Der ESF hat in den letzten 60 Jahren einige spannende Wandlungen durchlaufen und seine Schwerpunkte haben sich in dieser Zeitspanne beachtlich weiterentwickelt. Ursprünglich unterstützte der ESF ja vor allem ausbildungsbezogene Programme. Inzwischen verfügt er über ein breites Spektrum von Maßnahmen. Auch seine Mittelausstattung weist über die acht Förderperioden eine beachtliche Entwicklung auf. Der ESF ist als fester Bestandteil der Arbeits-und Sozialpolitik der europäischen Mitgliedstaaten nicht mehr wegzudenken. Zum Beispiel fließen in der aktuellen Förderperiode mindestens 20 Prozent der Mittel in die soziale Eingliederung und die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit hat eine wichtige Priorität.
Wichtig ist es, vorab zu erkennen, dass der ESF in verschiedenen Staaten der EU auf unterschiedliche Weise wirkt. In Deutschland und Österreich beispielsweise ist das ESF-Volumen im Vergleich zu den finanziellen Mitteln der nationalen bzw. regionalen aktiven Arbeitsmarktpolitik gering. Der ESF kann daher nur Akzente setzen, aber er ist auch ein wichtiger Impulsgeber und kann mit innovativen Methoden Verbesserungen vor allem für gesellschaftlich benachteiligte Menschen bringen. Der ESF trägt ebenfalls dazu bei, aktuelle Herausforderungen zu meistern, wie etwa die Integration von Flüchtlingen.
In anderen Ländern wie beispielsweise Kroatien hat der ESF eine noch herausragendere Stellung, wenn es um die Arbeitsmarktintegration von Menschen und -über den EFRE- den Aufbau von Institutionen geht. Auch sind in Kroatien der ESF und EFRE sehr wichtig, um die Arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Reformen zu unterstützen wie im Europäischen Semester vereinbart.
In beiden Fällen, als Impulssetzer oder als Kernbaustein der Arbeitsmarktpolitik, ist der ESF greifbar, unterstützt Menschen direkt und trägt damit ganz wesentlich zum sozialen Zusammenhalt in der EU bei. Er ist auch ein riesengroßer Mutmacher, eine große Chance für ungewöhnliche Lebenswege, um zu jeder Zeit im Lebensverlauf doch noch mal eine andere Kurve zu nehmen und erfolgreich zu sein.
Was wir am Ende dieser Förderperiode erreicht haben wollen, ist natürlich in erster Linie die Anzahl derjenigen Menschen zu erhöhen, die ganz klar sagen können, dass sie vom ESF konkret profitiert haben. Auch ist es ein Ziel, Ende 2020 eine Vereinfachung der Abwicklung u.a. bei kleineren Projekten zu verzeichnen und eine größere Breitenwirkung und einen höheren EU-Mehrwert durch eine stärkere Fokussierung der Programme erreicht zu haben.
Newsletter-Team: Die Arbeitswelt verändert sich rasant: Wie kann der ESF die Menschen und Unternehmen unterstützen, diese Veränderungen zu bewältigen?
Herr Holthuis: Dies hängt natürlich in erster Linie von der Natur der ESF-Projekte selbst ab, die ausgewählt worden sind. An sich ist der ESF von seiner Ausrichtung und in Abstimmung mit den Prioritäten, die sich die Mitgliedsstaaten gesetzt haben, flexibel genug, um auf diese Herausforderungen in der Arbeitswelt zu reagieren. Globalisierung und technischer Fortschritt verunsichern heutzutage viele Menschen. Sie fürchten um ihren Arbeitsplatz und ihren Lebensstandard. Gleichzeitig gibt es die Notwendigkeit für die EU, die Arbeitsproduktivität zu steigern und die qualitative und quantitative Lücke zwischen Arbeitskräftenachfrage und -angebot zu schließen. Diese Herausforderungen für die Gesellschaft und die Arbeitswelt machen gute Bildung und lebenslanges Lernen notwendiger denn je. Hier kann der ESF durch Schulungen und Coaching-Programme als auch durch Umschulungen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien gezielt Menschen und Unternehmen auf zukunftsträchtige Branchen bzw. neue Arbeitsmethoden vorbereiten.
Newsletter-Team: Der ESF leistet also viel Gutes für die Menschen in Europa. Herausfordernd für die Projektträger und die Mitgliedsstaaten ist dabei aber oft die zeitaufwendige Verwaltung. Werden keine Änderungen vorgenommen, verstärkt sich in der Öffentlichkeit - trotz guter ESF-Programme - die Wahrnehmung der EU als Bürokratiegebilde ohne Bezug zur Realität.
Herr Holthuis: Erstens ist es wichtig zu verstehen, dass es neben der Kommission noch weitere Akteure im Entscheidungsprozess gibt. Die Kommission macht Vorschläge, die vom Europäischen Parlament und dem Rat, in dem die Mitgliedstaaten das Sagen haben, im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren beschlossen werden. Zeitaufwendige Verwaltung ist nicht immer oder notwendigerweise eine Erfindung der Kommission. Auch die Mitgliedstaaten können in zu vielen Regelungen erstarren. Außerdem darf man nicht vergessen, dass das EU-Regelwerk immer nur einen Rahmen setzt, innerhalb dieses Regelwerks hat der Mitgliedstaat weitere Gestaltungsmöglichkeiten.
Nichtsdestotrotz ist es uns durchaus bewusst, dass es zwischen Theorie und Praxis der vereinfachten Umsetzung Unterschiede gibt, daher nehmen wir die Empfehlungen des vor kurzem erstellten "Lean Fund Management"-Strategiepapiers des BMAS auch sehr ernst. Insbesondere hat sich die Kommission schon zum Ziel gesetzt, ein vereinfachtes Umsetzungsverfahren für die Fonds zu ermöglichen. Dieses beinhaltet optimierte Umsetzungsregeln, die Möglichkeit für Leistungsempfänger, alle administrativen Schritte elektronisch durchzuführen und mehr Möglichkeiten für die Nutzung vereinfachter Kostenoptionen. Es besteht auch die Verpflichtung der Verwaltungsbehörden, spezielle Maßnahmen zu ergreifen, um den Verwaltungsaufwand für die Empfänger zu mindern.
Zweitens steht die Wahrnehmung der EU durch die Öffentlichkeit nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit guten ESF-Projekten. Nicht immer wissen Menschen vor Ort, dass ESF-Projekte von Europa mitfinanziert werden. Die Lorbeeren bleiben öfters bei den Mitgliedstaaten und die Sichtbarkeit Europas wird nicht deutlich genug. Bei Schwierigkeiten in der ESF-Programmumsetzung wird allerdings nicht selten mit dem Zeigefinger auf die Kommission gezeigt. Hier sind wir alle in einem partnerschaftlichen Vorgehen aufgefordert, mutig und ehrlich zu kommunizieren und die Bedeutung des ESF für die Menschen in Europa herauszustreichen. Als interessantes Beispiel verweise ich auf die Broschüre vom BMAS über "60 Jahre Europäischer Sozialfonds - Investitionen in Menschen" und den Trend, kurze Videos zu drehen, um darüber via Soziale Medien die Bedeutung des ESF für den Bürger hervorzuheben. Die Feierlichkeiten dieses Jahr zum 60-Jahre-Jubiläum des ESF bieten dafür weitere ausgezeichnete Möglichkeiten.