Doppelte Herausforderung 2020 - Corona und externer Hauptschulabschluss
- Datum
- 16.12.2020
Im Oktober 2019 gingen die beiden letzten Kurse "Hauptschulabschluss und Pflege" im Rahmen des ESF-geförderten Modellprojektes "IsA-KuBIG - Kultursensible Berufsgrundqualifizierung und Integration im Bildungszentrum für Gesundheitsberufe" an den Start. Die Kontakteinschränkungen im März 2020 auf Grund der Corona-Pandemie traf die Kursteilnehmenden besonders hart, denn sie befanden sich zu diesem Zeitpunkt schon auf der Zielgeraden für die Vorbereitung auf die schriftlichen externen Hauptschulprüfungen, die im Mai stattfinden sollten.
Insgesamt 22 Männer und Frauen kamen seit Oktober 2019 regelmäßig zur low-tec Gemeinnützige Arbeitsmarktförderungsgesellschaft Düren mbH, um sich auf die externe Hauptschulprüfung und den Erwerb von zwei Pflegezertifikaten vorzubereiten. Ihr Unterricht fand von montags bis freitags jeweils von 09:00 bis 15:00 Uhr statt. Auf dem Wochenplan standen die Fächer Deutsch, Mathematik, Biologie, Englisch und Hauswirtschaft sowie an zwei bis drei Tagen Unterricht zum Thema "Pflege".
Bis zum 16. März 2020 lief alles "normal" in den Kursen "Hauptschulabschluss & Pflege" an den Standorten in Düren und Eschweiler. Doch ab dem 17. März musste sich die low-tec aufgrund der Corona-Schutzverordnung des Landes NRW sehr schnell auf "Homeschooling" umstellen.
Keinen Präsenzunterricht mehr durchführen zu dürfen bedeutete auch, dass wesentliche Elemente der menschlichen Kommunikation wegfielen. Insbesondere Menschen mit Migrationshintergrund sind neben dem sprachlichen Ausdruck auch auf Mimik, Gestik und nonverbale Kommunikation angewiesen. Wie erklärt man z.B. die Berechnung eines Volumens oder einer Fläche von einer geometrischen Figur? Das Anschauen und das haptische Anfassen eines Würfels oder einer Pyramide kann keine Schulbuchabbildung ersetzen.
Erreichen der Qualifizierungsziele trotz pandemiebedingter Einschränkungen?
Somit stellte sich die Frage, welche alternativen Methoden und Strukturen entwickelt werden konnten, um das Erreichen der Qualifizierungsziele unter den gegebenen Umständen trotzdem zu gewährleisten. Nicht nur die Unterstützung beim Lernen für die Schulfächer, sondern auch die sozialpädagogische Begleitung der Teilnehmer*innen musste aufrechterhalten werden. Diese wurde umso wichtiger, je länger die Ausnahmesituation andauerte, zumal sich die häusliche und familiäre Situation der Teilnehmer*innen oft stark geändert hatte. Plötzlich waren einige mit zwei oder sogar vier Kindern zu Hause und sahen sich vor die Herausforderung gestellt, bei permanenter Anwesenheit aller Familienmitglieder ihren Betreuungspflichten nachzukommen und trotzdem noch Zeit und Ruhe für ihre Prüfungsvorbereitungen zu finden.
In Kontakt bleiben ist wichtig - aber wie?
Das Wichtigste in dieser Zeit für alle "KuBIG"-Teilnehmer*innen waren die regelmäßigen Telefonate und Skype-Calls mit ihren Dozent*innen und ihren sozialpädagogischen Begleiter*innen. Da nur wenige Teilnehmer*innen über einen PC oder Laptop verfügten, kam die Vermittlung des Lernstoffes über eine Lernplattform erst zu einem späteren Zeitpunkt in Frage. Lernunterstützung von geeigneten Apps wurden natürlich genutzt, da alle Teilnehmer*innen über ein Smartphone verfügten. Die Übungsaufgaben für die schriftlichen Hauptfächer in Mathematik, Deutsch und Biologie wurden jede Woche zusammengestellt und per Post mit der Aufforderung verschickt, diese binnen einer Woche zu bearbeiten und mit dem beigefügten frankierten Briefumschlag wieder zurückzusenden.
Die Teilnehmer*innen betonen, dass die kontinuierliche und individuelle Rückmeldung der "KuBIG"-Mitarbeiter*innen entscheidend dazu beigetragen hat, dass sie "am Ball geblieben" sind und die doppelte Herausforderung dieses dreimonatigen "Homeschoolings" sehr erfolgreich gemeistert haben.
Gute Nachrichten: die Prüfungstermine werden in den August verschoben und der Präsenzunterricht ist im Mai mit Abstand wieder möglich!
Ab Mai konnten sich dann alle "KuBIG"-Teilnehmer*innen wieder in großen, hellen und gut belüftbaren Schulungsräumen in Kleingruppen zum Unterricht treffen. Die Freude war groß, endlich wieder zusammenzukommen und die Erleichterung über den verschobenen Prüfungstermin in den August spürbar.
Abschlussfeier und Übergabe der Hauptschulzeugnisse und Pflegezertifikate
Am 31.08.2020 konnten dann auf der Abschlussfeier die Hauptschulabschlüsse und Pflegezertifikate übergeben werden. Martina Forkel, die Amtsleiterin der job-com (Jobcenter) des Kreises Düren betonte, dass die strahlenden Gesichter der Absolvent*innen der beste Beweis ist, dass die Unterstützung und auch finanzielle Beteiligung seitens der job-com gut angelegt war.
"Das Modellprojekt "KuBIG" öffnet jungen Erwachsenen", so der Geschäftsführer Michael Omsels von der low-tec, "eine wichtige Tür ins Berufsleben. Ohne einen Hauptschulabschluss ist ein Zugang zu einer Pflegeausbildung nicht möglich. Und wir sehen bei allen "KuBIG"- Teilnehmenden, die den externen Hauptschulabschluss erfolgreich nachgeholt haben, dass er oder sie weiter gehen will in Richtung Arbeit oder Ausbildung."
Auch die Schulleitungen der prüfenden Schulen ließen es sich nicht nehmen, persönlich an die Hauptschulzeugnisse an die Absolventinnen und Absolventen zu übergeben.
Die Vorbereitung auf die externe Hauptschulprüfung lag im Verantwortungsbereich des "KuBIG"-Teams, aber die Durchführung der Prüfungen oblag den Schulen. Insgesamt drei Schulen hatten die Prüfungen abgenommen: die "Gemeinschaftshauptschule Goltstein" in Inden, die "Gesamtschule Niederzier/Merzenich" und die "Heinrich Heine Gesamtschule" in Aachen. Einen besonderen Dank galt auch ihnen, denn in der pandemiebedingten Ausnahmesituation mussten sie nicht nur ihren eigenen Schulalltag neu organisieren, sondern auch noch zusätzlich die Externenprüfungen vorbereiten.
Ulli Flohr und seine Kolleg*innen von der Gesamtschule Niederzier/Merzenich, überreichten die Zeugnisse an die "KuBIG"-Teilnehmer*innen mit einer jeweils persönlichen Ansprache.
Rohgaye Golestani, deren freudestrahlendes Gesicht mehr ausdrückt als alle Worte, war vor vier Jahren aus Afghanistan nach Deutschland gekommen. Sie ist alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern und hat ihren Hauptschulabschluss nach Klasse 10 nachgeholt. Sie will weiter ihren schulischen Weg verfolgen und mit einem FOR-Abschluss (Fachoberschulreife) eine pflegerische oder medizinische Ausbildung beginnen. Ihr Traumberuf ist Hebamme. Ein Interview mit Rohgaye Golestani finden Sie hier.
Sabrina Schirlo, ebenfalls alleinerziehende Mutter, hatte schon einen Vertrag bei einem ambulanten Pflegedienst in der Tasche. Mit ihrem 10er Abschluss kann sie dann später jederzeit eine Pflegeausbildung beginnen.
Ein Hauptschulabschluss nach Klasse 9 war für manche "KuBIG"-Teilnehmer*innen ein erster machbarer schulischer Einstieg. Dieser Abschluss ermöglicht z.B. schon eine einjährige Pflegeausbildung. Christian Häntsch und Jürgen Rehermann überreichten insgesamt vier Hauptschulzeugnisse nach Klasse 9.
Die Pflegezertifikate, Qualifikationen zur Betreuungskraft nach §53c SGB XI und Pflegediensthelfer/in, erhielten die Teilnehmer*innen von Marion Klein-Bojanowski (Projektleitung "KuBIG"), Nadine Servos (Pflegefachkraft/Sozialpädagogin im "KuBIG"-Projekt) und Heike Eggers-Hüttner (Koordinatorin "KuBIG"-Standort Eschweiler).
Im Namen aller "KuBIG"-Teilnehmer*innen überreichte Kamiran Hussein einen "Oskar" an Sascha Mattern. Er hatte in den Fächern Mathematik, Biologie und Hauswirtschaft beide "KuBIG"-Klassen in Düren und Eschweiler unterrichtet - und das unermüdlich im Präsenzunterricht, per Textnachrichten, Telefon und Skype.
In den beiden letzten Durchgängen der "KuBIG"-Kurse "Hauptschulabschluss & Pflege" stellten die Frauen und Männer ein ganz besonderes Maß an Mut, Anstrengung und Durchhaltevermögen unter Beweis; sie haben trotz der widrigen Umstände durch die Corona-Pandemie ihr Ziel erreicht.
Das Projekt "KuBIG - Kultursensible Berufsgrundqualifizierung und Integration im Bildungszentrum für Gesundheitsberufe" wird im Rahmen der ESF-Integrationsrichtlinie Bund im Handlungsschwerpunkt Integration statt Ausgrenzung (IsA) durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und den Europäischen Sozialfonds gefördert.
"KuBIG" berät, begleitet, qualifiziert und vermittelt arbeits- und ausbildungssuchende junge Menschen, die in der Pflege tätig werden wollen. Dabei verfolgt das Projekt einen kultursensiblen Ansatz, indem die kulturellen Unterschiede zwischen Menschen in ihrer Wahrnehmung, in ihrem Denken und in ihrem Verhalten berücksichtigt werden. Darüber hinaus arbeitet "KuBIG" auch auf einer strukturellen und arbeitsmarktpolitischen Ebene mit dem Ziel, die im Modellprojekt entwickelten Ansätze und Methoden nachhaltig in einem "Bildungszentrum für Gesundheitsberufe" weiter umzusetzen.
Seit August 2015 führt die low-tec das Projekt "KuBIG" durch, das im Dezember 2020 endet. In diesem Zeitraum wurden neben anderen Kursen neun Durchgänge des Qualifizierungsangebots "Hauptschulabschluss &Pflege" mit 151 Teilnehmer*innen durchgeführt. 83 von ihnen erhielten ihre Hauptschulzeugnisse plus Pflegezertifikate, womit sie die Voraussetzung für eine Pflegeausbildung erwarben.
Damit hat das Modellprojekt „"KuBIG" in den vergangenen fünf Jahren die Zugänge in die Pflege für diejenigen geöffnet, die ursprünglich keine Chance auf eine Pflegeausbildung hatten.
Mehr Infos zum Projekt "KuBIG" finden Sie hier.
Weitere Portraits in Bild und Ton finden Sie unter...
Kontakt und Information zu "KuBIG":
low-tec gemeinnützige Arbeitsmarktförderungsgesellschaft Düren mbH
Marion Klein-Bojanowski (Projektleitung "KuBIG")
Paradiesbenden 16
52349 Düren
Email: m.klein-bojanowski@low-tec.de
Tel: 02421/4036-49 oder -0
