Nachhaltig erfolgreich: Mit "rückenwind+" auf dem Weg zur agilen und widerstandsfähigen Organisation

Datum
22.06.2023

150 geförderte Modellprojekte, rund 25.000 Teilnehmende aus 1.600 Unternehmen der Sozialwirtschaft - eine starke Bilanz des ESF-Programms "rückenwind+" (ESF-Förderperiode 2014 - 2020). Unter Transfergesichtspunkten zeigen exemplarisch ausgewählte "rückenwind+"-Projekte nach Ende der Förderlaufzeit, welche Veränderungen ausgehend von der konkreten ESF-Förderung in den jeweiligen Unternehmen entstanden sind. Dieses Mal stellen wir das Projekt "Mit resilienten Beschäftigten und resilienter Organisation zum Sozialdienstleiter 4.0" vor. Das Modellprojekt des Diakonie Lahn Dill e.V. zeigt auf, wie der Spagat gelungen ist, als Arbeitgeber die Herausforderung von starken Belastungen, ständigem Druck und hoher Geschwindigkeit zu meistern und gleichzeitig die Beschäftigten in der Organisation zu (be-)stärken.

Die Diakonie Lahn Dill (DLD) mit ihren 120 Beschäftigten zielte mit ihrem "rückenwind+"-Projekt auf die Verbesserung der organisationalen Resilienz der DLD und der individuellen Resilienz ihrer Beschäftigten. Sie reagierte damit auf Ergebnisse einer Mitarbeitendenbefragung aus dem Jahr 2015, in der 70% der Beschäftigten angaben, unzufrieden zu sein sowie auf eine B.A.D.-gestützte Befragung zu psychischen Belastungsfaktoren am Arbeitsplatz in 2016, die verdeutlichte, dass hier in allen Arbeitsbereichen gravierende Probleme bestanden. Zentraler Ansatzpunkt der Projektumsetzung war die Implementierung eines regelmäßigen Resilienz-Kompass mit den Untersuchungsbereichen: Unternehmenskultur, Gesundheit/Life Balance, Kommunikation/Prozesse sowie Beziehung/Führung. Vor diesem Hintergrund wurden Führungskräfte gezielt geschult und die Führungskultur neu ausgerichtet. In mehreren modular aufgebauten Qualifizierungen befassten sich die 120 Beschäftigten mit unterschiedlichen Resilienz-fördernden Faktoren. Ergänzend entstanden Arbeitszirkel zu den Themen Gesundheitsmanagement, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, neue Arbeitszeitmodelle, Teamkultur/Teamspirit, Kommunikationsforum und Innovationswerkstatt unter Beteiligung aller Mitarbeitenden. Ein Leitfaden für beide Bereiche unterstützte den Implementierungsprozess in die Unternehmensstruktur.

Eine Strategie mit Erfolg!

Der dreijährige Prozess (2017 - 2020) zur Unternehmensentwicklung in der Diakonie Lahn Dill (DLD) wurde von der Goethe Universität Frankfurt wissenschaftlich begleitet. Analysewerte der wissenschaftlichen Untersuchung der Goethe-Universität unter der Leitung von Prof. Dr. Dieter Zapf (Work and Organizational Psychology Institute of Psychology, Scientific Director, Center für Leadership and Behavior in Organisations, die im Spätherbst 2020 der Öffentlichkeit vorgestellt wurden, belegten substanzielle positive Veränderungen im Bereich der Teamkultur, des Erlebens von organisationaler Ungerechtigkeit und negativer Teamatmosphäre. Gravierend verbesserte Werte wurden bei dem erlebten Zeitdruck und der Unsicherheit der Zielerreichung registriert. Im Bereich der psychosomatischen Beschwerden konnte ein deutlicher Effekt bezüglich verringerter emotionaler Erschöpfung nachgewiesen werden.

Bilder auf einer Scheibe
Arbeitsprozess rückenwind+-Projekt "Mit resilienten Beschäftigten und resilienter Organisation zum Sozialdienstleiter 4.0" © DLD

Vom Strukturwandel zum Kulturwandel

Zu Beginn des "rückenwind+"-Projekts war klar: Die DLD musste Zugang zu eigenen Stärken und Ressourcen gewinnen, flexiblere Strukturen schaffen, die Kommunikation verbessern und die Führungskultur einer kritischen Bestandsaufnahme unterziehen. Vor diesem Hintergrund startete die DLD einen umfassender Organisations- und Personalentwicklungsprozess im Unternehmen. Ansatzpunkte dabei waren zunächst: Führungskultur, interne und externe Kommunikation, Qualitäts- und Gesundheitsmanagement und Arbeitsstrukturen. Ein zentraler Lösungsansatz war dabei die Implementierung des von der Human Balance Akademie entwickelten Resilienz Kompass.

"Das Besondere an dem Konzept der Resilienz nach dem H.B.T. Kompass sind der vorausplanende Blick sowie der Fokus auf Ressourcen und Möglichkeiten statt auf Defizite. Annahme ist, dass jeder Mensch, jedes Team und jede Organisation resiliente Fähigkeiten hat, die es zu entdecken, anzuwenden und auszubauen gilt", betont Wolfgang Muy, der das "rückenwind+"-Projekt "Mit resilienten Beschäftigten und resilienter Organisation zum Sozialdienstleiter 4.0" von 2017 bis 2020 geleitet hat und ergänzt: "Wer ein Unternehmen dauerhaft stabil und anpassungsfähig gestalten möchte, muss auf mehreren Ebenen gleichzeitig denken, planen, handeln". Es gehe darum,

  • das Individuum zu stärken, egal, ob Vorstand, Geschäftsführer*in, Führungskraft oder Mitarbeitende*r,
  • die soziale Interaktion zu fördern, insbesondere das Zusammenspiel der einzelnen Akteure und Teams sowie
  • das Umfeld zu verbessern, also auch auf struktureller Ebene Bedingungen zu schaffen, die die Entfaltung von Potenzialen ermöglichen.

Der so umgesetzte Lösungsansatz fokussierte den Weg zur organisationalen und persönlichen Resilienz. Ziel war es, die Widerstandskräfte im Umgang mit Veränderungen und Herausforderungen zu fördern. Keine leichte Aufgabe, denn der herausfordernde Spagat dabei lautete: einerseits ein attraktiver Arbeitgeber zu sein und gleichzeitig ein konkurrenzfähiges, mittelständisches Wirtschaftsunternehmen.

Grafik
Grafik zum Prozessablauf "Mit resilienten Beschäftigten und resilienter Organisation zum Sozialdienstleiter 4.0" © DLD

Resilienz auf zwei Ebenen

"Inhaltlich geht es bei personaler Resilienz um innere Stabilität und die Schaffung von Klarheit über Standort, Werte, Ziele und Visionen. Ziel ist eine kompetente Selbststeuerung sowie eine gelungene Kommunikation als Basis effizienter Interaktion, die Loslösung von einschränkenden Denk- und Handlungsmustern und eine gezielte Burn-out-Prävention", so Projektleiter Muy über das Grundkonzept. An den zweitägigen bereichsübergreifenden Schulungen hierzu nahmen insgesamt 101 Beschäftigte der DLD teil. Gleichzeitig fanden Qualifizierungen zur organisationalen Resilienz für insgesamt 110 Beschäftigte statt. Die Leitungskräfte qualifizierten sich in sechs Trainingstagen zu Themen wie: Stressmanagement, Führen durch Vorbild, gelebte Werte und Umgang mit Veränderungen. Inhaltlich ging es beim Modul organisationale Resilienz um Aufgaben, Ziele und Visionen des gesamten Teams, die Belastungsfähigkeit der Mitarbeitenden und des Teams sowie eine offene Stärken- und Schwächenanalyse. Weitere Trainingsinhalte umfassten den aktiven Umgang mit Konflikten und Rollenklärung sowie die Optimierung der Besetzung und die kreative Bewältigung von Stress bei Druck und Überbelastung. Parallel eingeführte Teamkultur-, Gesundheits- und Work-Life-Balance-Zirkel sowie Kommunikationsforen und Bestandaufnahmen begleiteten den Umsetzungsprozess des "rückenwind+"-Projekts.

Wirkfaktoren des "rückenwind+"-Prozesses der DLD

Durch die hohe Teilnehmendenanzahl an den Resilienz-Schulungen und die zahlreichen Begleitmaßnahmen konnte die Durchdringung der Wirkfaktoren erhöht werden. "Dabei wurde deutlich, dass es in den Teams zum Teil Konfliktscheue, ein zu nettes Umgehen miteinander, aber auch ein gewisses Burgendenken zwischen den Häusern und auch bei den Führungskräften gab sowie eine zum Teil fehlende Ergebnisorientierung in der Sozialen Arbeit", beschreibt Wolfgang Muy die Erfahrungen innerhalb der "rückenwind+"-Projektumsetzung.

Ein Mann vor einer Leinwand
Wolfgang Muy, Projektleiter von: "Mit resilienten Beschäftigten und resilienter Organisation zum Sozialdienstleiter 4.0", im Rahmen eines Vortrags auf der Fachmesse ConSozial 2019 © DLD

Als relevante Erfolgsfaktoren für das Projekt konnten definiert werden: Die gleich zu Beginn des Prozesses installierte, hierarchieübergreifende Steuerungsgruppe und die hohe Beteiligung aller Beschäftigten an irgendeiner Stelle des Prozesses bewirkten, dass ein Viertel aller Beschäftigten im Prozess punktuell mitwirkten und damit eingebunden waren. Die Arbeit der vier Zirkel zu den Bereichen Gesundheit, Work-Life-Balance, Kommunikation und Teamkultur brachten wichtige Impulse und führten zu neuen Angeboten in den beiden Jahren 2018 und 2019. Gerade bei den Führungskräftetrainings wurde deutlich, dass die Führungskräfte zu Beginn des Förderprojekts nur wenig als Führungsmannschaft mit gemeinsamen Zielen, Werten und Visionen auftrat und dies durch die gemeinsame Arbeit signifikant verbessert wurde.

Störfaktoren des "rückenwind+"-Prozesses der DLD

Anfangs gab es viele kritische Stimmen zum "rückenwind+"-Projekt, erinnert sich Wolfgang Muy und zitiert typische Zweifel: "Wir führen gerade ein neues Softwaresystem ein und dann noch parallel das "rückenwind+"-Programm!", lautete etwa ein Kritikpunkt. Schnell wurde aber deutlich, dass sich die Themen von "rückenwind+" keineswegs störend auf die weiteren Baustellen auswirkten, sondern im Gegenteil eine Quelle von Innovation und "über den Tellerrand schauen" bildeten und das gestärkte Zusammengehörigkeitsgefühl förderlich für Lösungen und eine erhöhte Flexibilität in der Zusammenarbeit waren. So entstanden etwa neue vernetzte Angebote in der DLD - speziell für psychisch erkrankte Menschen. Die intensivierte, übergreifende und flexibilisierte Angebotsorientierung statt Institutionsorientierung verschafft dem Unternehmen darüber hinaus etwa im Umgang mit den Auswirkungen des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) einen wichtigen Marktvorteil.

Zusammenfassung

Nach zweieinhalb Jahren wurde aus einzelnen Führungskräften ein Führungsteam innerhalb der DLD. Durch die einrichtungsübergreifenden Workshops entstanden neue Formen der Zusammenarbeit unter den Mitarbeitenden, die aus allen Ebenen an dem Prozess mitwirkten. Aus Burgendenken wurde nach und nach ein Schulterschluss der Einrichtungsteile, sodass beste Voraussetzungen entstanden, den aktuellen Herausforderungen innovativ und agil zu begegnen. Gesundheit wurde in der Diakonie Lahn Dill umfassender gedacht, sowohl bei den einzelnen Mitarbeitenden als auch bei den Teams. "Letztendlich geht es darum, aus einem Strukturwandel einen Kulturwandel zu schaffen: Aus "Diakonie - Stark für Andere!" eine "Diakonie - Stark für Andere, stark für mich, stark für uns‘ werden zu lassen!", fasst Muy die Erfolge der "rückenwind+"-Förderung für die Diakonie Lahn Dill zusammen.

Informationen zu den Autor*innen des Beitrags:

Wolfgang Muy war Führungskraft der Diakonie Lahn Dill und leitete dort die Fachstelle für Innovation, Entwicklung und Inklusion mit dem Auftrag "Aufbau eines ganzheitlichen Gesundheitsmanagements für 130 Mitarbeitende" bis Ende 2022. Seit 2023 ist er als selbstständiger Supervisor und Resilienz & Business Coach tätig.

Bettina Wegner, Leiterin der ESF-Regiestelle in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e.V., verantwortlich für die Programmumsetzung "rückenwind+" und aktuell "rückenwind3".

Das ESF-Programm "rückenwind - Für die Beschäftigten und Unternehmen in der Sozialwirtschaft" (kurz: "rückenwind+")

"rückenwind+" ist das Vorläuferprogramm des ESF Plus-Programms "rückenwind3 für Vielfalt, Wandel und Zukunftsfähigkeit in der Sozialwirtschaft" (kurz: "rückenwind3") in der ESF Plus-Förderperiode 2021-2027.

Das Programm wurde in der ESF-Förderperiode 2014-2020 in enger Partnerschaft des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) und der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e. V. (BAGFW) entwickelt und umgesetzt. Am 30.09.2022 endete die Laufzeit des Programms "rückenwind+". Ziel des Förderprogramms war die Fachkräftesicherung in sozialen Berufsfeldern. 53,5 Millionen Euro ESF-Mittel, zzgl. Bundesmittel, standen für die Programmumsetzung zur Verfügung. Insgesamt rd. 150 Modellvorhaben konnten so bei der Entwicklung vielfältiger und qualifizierter Ansätze und Instrumente für die Gestaltung moderner und attraktiver Arbeitsbedingungen in sozialen Berufsfeldern unterstützt werden. Fast 25.000 Beschäftigte in rund 1.600 Unternehmen waren in den Projekten aktiv. Konzeptionell beschäftigten sich die geförderten "rückenwind+"-Projekte mit den fünf Themenfeldern: "Arbeit 4.0 & Digitalisierung" (seit 2017), "Führung & Unternehmenskultur", "Personal gewinnen & Personal fördern", "Lebensphasenorientierung & Gesundheit", "Vielfalt im Betrieb & Geschlechtergerechtigkeit".

Weitere Informationen zum Programm "rückenwind+" finden Sie auf dem ESF-Webportal sowie auf der Programmwebsite.

Kontakt:
regiestelle@bag-wohlfahrt.de

Auszug aus dem ESF-Newsletter