Kita International

Datum
11.09.2019

In drei Jahren ESF-Förderung hat das Projekt "Kita International" aus dem ESF-Bundesprogramm "Fachkräfte sichern" die Kompetenzen von Kita-Beschäftigten im Bereich vorurteilsbewusster Bildung und Erziehung gestärkt. Lesen Sie anlässlich des Projektabschlusses ein Interview mit der Projektleiterin Anja Kramer.

Das Projekt ist ein Beispiel für eines von bundesweit mehr als 100 Projekten, die nachhaltige Weiterbildungsstrategien und -strukturen etabliert sowie die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen auf dem Arbeitsmarkt gestärkt haben. Ermöglicht wurde dies durch die ESF-Initiative "Fachkräfte sichern: weiter bilden und Gleichstellung fördern" (Sozialpartnerrichtlinie), die Sozialpartner und betriebliche Akteure bei der Fachkräftesicherung und Anpassung an den demografischen und digitalen Wandel unterstützt.

Lesen Sie anlässlich des Projektabschlusses von "Kita International" ein Interview mit der Projektleiterin Anja Kramer. Das Interview führte die Regiestelle "Fachkräfte sichern", eine Arbeitsgemeinschaft des Forschungsinstituts Betriebliche Bildung (f-bb) und des DGB Bildungswerks. Sie begleitet die Umsetzung der "ESF-Sozialpartnerrichtlinie" organisatorisch und inhaltlich und arbeitet im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS).

Eine Frau vor einem Mikrofon
Anja Kramer, Regionalleiterin des ver.di Bildungswerks in Niedersachsen und Projektleiterin des über die Richtlinie "Fachkräfte sichern" geförderten Projekts "Kita International" © Bildungswerk der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft in Niedersachsen e.V.

  • RS: Regiestelle Fachkräfte sichern
  • AK: Anja Kramer

RS: Frau Kramer, wie entstand die Idee zu "Kita International"?

AK: "2015 wurde das Projekt entwickelt - vor dem Hintergrund der großen Gruppen an Kindern von neu zugewanderten und geflüchteten Familien hat der ver.di Bundesvorsitzende Frank Bsirske selbst die Idee ins Rollen gebracht: Mit dem Wissen, wie sehr die Chancen eines Kindes auf den Bildungserfolg von dem Besuch einer Kita abhängen - sowohl sprachlich als auch sozial - und mit dem Wissen, dass die Kolleginnen und Kollegen in den Einrichtungen Jahr für Jahr höheren Anforderungen quantitativ und qualitativ gegenüber stehen.

Während es auf Bundesebene schon große Programme für Sprach-Kitas 1 gibt, wollten wir mit unserem Projekt Praxiskonzepte zur gelingenden Teilhabe, gelingender Kooperation mit Eltern, Integrations- und Inklusionsthemen durch vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung auf die Agenda setzen, aber auch in die Reflexion der eigenen Ressentiments gehen."

RS: Welche Maßnahmen setzte "Kita international" zur Erreichung der Projektziele um?

AK: "Teilgenommen haben Einrichtungen aus Bremen, Hannover, Laatzen, Wuppertal und Berlin. Im Rahmen des Projekts gab es Fachtagungen, trägerübergreifende Angebote, umfangreiche Langzeitqualifizierungen für Leitungen und Multiplikatoren. Darüber hinaus fanden in insgesamt 14 Projektkitas umfangreiche Diagnostiken, Teamangebote und eine langfristige und nachhaltige Beratung und Begleitung statt. Alle Angebote haben den Schwerpunkt der vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung. Die fachliche Begleitung wurde hierbei von der Fachstelle Kinderwelten realisiert, deren Kolleginnen und Kollegen zu diesem wichtigen Thema bereits seit sehr vielen Jahren arbeiten.

Diese Inhalte zu vermitteln und die Auseinandersetzung mit dem Thema ist sehr zeit- und kräfteintensiv, da sich die Einzelnen, aber auch die Teams sich der Auseinandersetzung und der Entwicklung stellen müssen. Hierin kann ich schon einen sehr großen Unterschied zu unseren anderen Projekten sehen, die nicht ganz so umfangreich von den Formaten her konzipiert sind. Zentrales Anliegen des Projekts ist es, Kitas als demokratische Lernorte zu definieren. Elementar dafür ist das kompetente Umgehen mit der Verschiedenheit der Kinder und Erwachsenen und eine klare Linie gegen Ausgrenzung. Das ist nichts Zusätzliches und kein "Extra", sondern nötig für die gleichen Bildungschancen aller Kinder und um als Einrichtung für die realen gesellschaftlichen Herausforderungen gewappnet zu sein."

Eine Gruppe Menschen
Teilnehmende der Abschlusstagung und der Fortbildungen von "Kita International" © Bildungswerk der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft in Niedersachsen e.V.

RS: Am 21.06.19 fand in Hannover Ihre Abschlusstagung zum Thema "Haltung" statt. Welche Erkenntnisse ziehen Sie aus fast drei Jahren erfolgreicher Projektlaufzeit - und wie geht es nun weiter?

AK: "Die gesellschaftlichen Polarisierungen machen vor den Kitas nicht Halt. Demokratiestärkung in der Kita heißt, die Teilhabe aller zu ermöglichen. Und sich dabei klar gegen Ausgrenzung und die Abwertung von Menschen zu positionieren. Diskriminierung ist mit Demokratie unvereinbar. Eine demokratische Kultur entwickeln geht nicht nebenbei und auch nicht zum Nulltarif: Es braucht Zeit für Reflexion und einen systematischen Austausch, um demokratische Werte zu klären, Leitlinien festzulegen, in der Praxis zu überprüfen und sich für Veränderungen in der Praxis entscheiden. Dies hat im Projekt stattgefunden. Mit vielfältigen Qualifizierungsmaßnahmen gab es Impulse für eine Weiterentwicklung der pädagogischen Qualität in Kitas, über die Auseinandersetzung mit Zielen, Prinzipien und Methoden der vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung.

Die beteiligten Akteure und die Träger sprachen sich einstimmig für eine Verstetigung und Ausweitung des Projektes aus. Hierfür haben sich die "Multiplikatoren", die im Projekt vertiefte Kompetenzen erhalten haben, besonders eingesetzt. In der direkten Zukunft besteht vor allem der Bedarf an Supervisionen, die trägerintern und extern begleitet werden. Aber der Wunsch nach einem Folgeprojekt ist natürlich auch in jedem Fall vielfach geäußert worden."

RS: Die "ESF-Sozialpartnerrichtlinie" zielt auch insbesondere auf eine nachhaltige Sicherung von Erkenntnissen. Sehen Sie Möglichkeiten für eine Verstetigung der Projekterkenntnisse etwa über den Transfer erfolgreicher Ansätze des Projekts in andere Regionen, Branchen oder (Weiterbildungs-)Strukturen hinein?

AK: "Die Erkenntnisse und Ergebnisse des Projekts bieten zahlreiche Anknüpfungspunkte und Transferansätze in die Bereiche der frühkindlichen Bildung, aber auch (ebenfalls ein Ergebnis der Tagung) in den Lernort Schule. Leider stehen sich in beiden Bereichen der erhebliche Fachkräftebedarf und die intensive Auseinandersetzung mit dem Thema gegenüber. Wie man dieses Dilemma lösen will, ist mir noch nicht klar.

Für uns als Projektträger resultiert aus der Erkenntnis, dass viele Teams homogen und nicht vielfältig zusammengesetzt sind, ein ganz wichtiger künftiger Handlungsbedarf. Denn obwohl gerade aufgrund der Vorbildfunktion der pädagogischen Fachkräfte die Zusammensetzung des Teams relevant ist und eine realitätsnahe Abbildung der Gesellschaft Vorurteile reduzieren kann, wird die Vielfalt der Kinder oft nicht ausreichend im Team abgebildet. Somit wird das implizite Wissen, das es über Perspektiven, Erfahrungen und kulturelle Praktiken gibt, nicht genutzt. Aber auch Zugangsschwellen für zugewanderte Familien können durch die entsprechende Repräsentanz wesentlich leichter abgebaut werden. In diese Richtung gehen aktuell unsere Gedanken, ein weiteres Projekt zu entwickeln."

RS: Die "ESF-Sozialpartnerrichtlinie" stärkt die Anstrengungen der Sozialpartner hinsichtlich Weiterbildung und Gleichstellung. Das Projekt "Kita International" wird durch das ver.di-Bildungswerk umgesetzt: Damit ist der umsetzende Träger des Projekts bereits selbst einer der Sozialpartner. Welchen Vorteil hat es, wenn Sozialpartner Projekte innerhalb der Richtlinie als Träger selbst umsetzen?

AK: "Dadurch, dass der Impuls für das Projekt direkt vom ver.di-Bundesvorstand ausging, hatten wir zum einen gleich zum Start sehr viel Zugriff auf sachkundige Akteure, die mit uns die Inhalte entwickelt haben. Aber auch die Akquise der Projektpartner, im ersten Schritt über die Bundesfachgruppe und anschließend über die Personalräte vor Ort, war für uns der optimale Türöffner. Somit hatten wir dann die Zugänge zu den Personalverantwortlichen und konnten das Projekt selbst auf allen Ebenen sozialpartnerschaftlich umsetzen.

Für ver.di selbst, die Sekretär*innen und Referent*innen in den Steuerkreis entsandt und hauptamtliche Akteure vor Ort zur Umsetzung zur Verfügung gestellt hat, war es sicherlich eine sehr gute Möglichkeit, die Fachlichkeit, die die Organisation abdeckt, in einen bundesweiten Transfer zu geben und auch den Qualifizierungstarifvertrag mit Leben zu füllen. So konnte sich die Gewerkschaft neben der "klassischen" Tarifarbeit sehr gut sichtbar machen. Insofern war das Projekt sicherlich sowohl für die Kooperationspartner (die teilnehmenden Städte) als auch für die Gewerkschaft ein Gewinn."

RS: Vielen Dank für das Gespräch Frau Kramer!

Fußnoten

1 Einrichtungen, in denen sprachliche Bildung als fester Bestandteil in der alltäglichen Kindertagesbetreuung integriert ist. zurück