Herausforderungen infolge des Corona-Virus - Personal- und Organisationsentwicklung als Chance

Datum
02.04.2020

Die von der Bundesregierung und den Regierungen der Bundesländer getroffenen aktuellen Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Corona-Virus stellen auch im ESF-geförderten Programm "rückenwind+" Trägerorganisationen der laufenden Förderprojekte vor die Herausforderung, Lösungen für abgesagte oder ausgesetzte (Präsenz-)Maßnahmen im Projektverlauf zu finden.

Das ESF-Newsletter-Team hat dazu mit Bettina Wegner und Jana Klawitter aus der ESF-Regiestelle für das ESF-Partnerschaftsprogramm "rückenwind+" gesprochen.

Frau Wegner, Frau Klawitter, Sie begleiten in der ESF-Regiestelle in der BAGFW rund 150 Förderprojekte im ESF-Programm "rückenwind+ - Für die Beschäftigten und Unternehmen in der Sozialwirtschaft" bei der Projektumsetzung. Vor welchen Schwierigkeiten stehen die Trägerorganisationen dort aktuell?

Wegner: Viele sozialwirtschaftliche Unternehmen, die in "rückenwind+" aktiv sind, laufen aufgrund des massiven Personalnotstands in sozialen Arbeitsfeldern ja ohnehin schon ständig im Krisenmodus. Eine zusätzliche Herausforderung wie der Corona-Virus belastet die Beschäftigten und Unternehmen gerade im Gesundheits- und Pflegebereich jetzt besonders. Und auch in den anderen Arbeitsfeldern sozialer Arbeit, wie etwa der Wohnungslosenhilfe oder in Sozialberatungsstellen stehen die Fachkräfte aktuell vor vielen zusätzlichen Herausforderungen, etwa um für Klientinnen und Klienten weiter erreichbar zu sein.

Was bedeutet das für die Projektförderung im Programm "rückenwind+"?

Wegner: Im Moment geht es vor allem für die Projektträger, deren Projekte mitten in der Umsetzung stecken, darum, zu überlegen, wie sie mit den zahlreichen Workshops, Qualifizierungen, Tagungen, Arbeitsgruppen oder Coachings umgehen, die aufgrund der getroffenen Maßnahmen und Empfehlungen zur Eindämmung des Corona-Virus abgesagt oder verschoben werden mussten. Dabei geht es ja um mehrere Aspekte. Zum einen zerbrechen lang geplante Zeitschienen und Arbeitsprozesse im Rahmen einer festgelegten Projektlaufzeit. Zum anderen fehlt den Projektverantwortlichen jetzt natürlich auch ein Anteil der Kofinanzierung, der über das Teilnehmenden-Einkommen E aus den abgesagten Veranstaltungen generiert werden sollte.

Hierfür hat die ESF-Verwaltungsbehörde den Projektträgern eine Lösungsmöglichkeit angeboten.

Klawitter: Richtig. Das Infoschreiben der ESF-Verwaltungsbehörde vom 17. März 2020, zu dem Sie ja kürzlich den herausgegeben haben, stellt in Aussicht, dass den Zuwendungsempfängern keine Nachteile aufgrund dieser erforderlichen Projektanpassungen entstehen werden. Das ist für viele Träger, die jetzt projektgebundene Veranstaltungen absagen mussten, natürlich extrem hilfreich. Aber im Einzelfall werden weitere Lösungen erforderlich sein.

Warum sind weitere Lösungen notwendig?

Klawitter: Unter die Sonderregelung fallen ja zunächst Veranstaltungen, die bis zum 30. April 2020 ausfallen müssen. Wir sehen aber schon jetzt, dass in den Trägerorganisationen viel weiträumiger gedacht und abgesagt wird. Und selbst wenn die Sonderregelung noch einige Wochen länger gelten sollte, werden viele Einrichtungen und Dienste vermutlich nicht so schnell in ihren alten Arbeitsrhythmus zurückfinden. Und ob dann, zum Beispiel im Herbst, in den Unternehmen im geplanten Umfang Mitarbeitende für die Teilnahme an Projektmaßnahmen freigestellt werden können, wissen wir ja auch noch nicht.

Was bedeutet das für Ihre Arbeit in der Beratung dieser Projektträger?

Wegner: Wir versuchen neben der rein fördertechnischen Beratung, wie zum Beispiel zur gerade benannten Sonderregelung der ESF-Verwaltungsbehörde, mit den Trägern zu schauen, wie Projektkonzeptionen inhaltlich angepasst und umgestrickt werden können, um innerhalb der ursprünglichen Projektlaufzeit trotzdem zu relevanten Ergebnissen zu kommen. Wo können beispielsweise angedachte Veranstaltungs- und Kommunikationsformate umkonzipiert werden, welche Meilensteine sind verschiebbar, welche Meilensteine können etwa durch digitale Formate gestützt werden. Im Grunde geht es für die Projektvorhaben darum, einen Plan B und am besten noch einen Plan C in der Schublade zu haben, um auf die aktuellen Bedarfe und Rahmenbedingungen zu reagieren.

Klawitter: Das sind letztlich Beratungsprozesse, die wir in Modellprogrammen ja auch immer schon so hatten. Der Unterschied ist, dass durch die übergreifende Herausforderung auf Grund der aktuellen Situation jetzt fast alle Projekte gleichzeitig zu einem erhöhten Maß an Flexibilität gegenüber ihrem ursprünglichen Projektplan gezwungen werden. Sie müssen veränderungsbereit sein, wenn Sie so wollen. Ein Stichwort im Übrigen, das im ESF-Programm "rückenwind+" ja ohnehin eine zentrale Rolle spielt.

Können Sie das erläutern?

Klawitter: Der massive Fachkräftemangel in sozialen Berufsfeldern verlangt von Unternehmen der Sozialwirtschaft auch einen umfänglichen Wandel im Bereich der Personal- und Organisationsentwicklung. Wir brauchen neue Formen der Arbeitsorganisation, der Weiterbildung, von Kommunikationsprozessen oder auch eine Weiterentwicklung von Unternehmenskulturen. Aufgabe von "rückenwind+" ist es, Unternehmen und Organisationen bei der Erprobung dieser Veränderungsprozesse zu unterstützen und zu begleiten. Ziel ist es, Ansätze für eine attraktivere Arbeitswelt in der Sozialwirtschaft zu entwickeln, damit mehr Menschen gut und gerne in sozialen Berufen arbeiten können und wollen.

Sind veränderungsbereite Organisationen in der aktuellen Situation im Vorteil?

Wegner: Das kann ich nicht abschließend beurteilen. Wir arbeiten ja in "rückenwind+" ohnehin mit Unternehmen zusammen, die bereit sind, festgeklopfte oder vermeintlich altbewährte Pfade zu verlassen und neue und innovative Wege in der Arbeitsorganisation zu erproben. Ziel ist ja auch, unabhängig von der aktuellen Situation, psychisch wie physisch stark belasteten Beschäftigten in sozialen Berufen attraktivere Arbeitsbedingungen zu bieten. Das nutzt ihnen jetzt womöglich ein Stück. Ich denke da an Unternehmen, die schon digitale Kommunikationsformen aufgebaut haben oder bei denen Selbstorganisation, kooperative Führungsstrukturen oder lebensphasenorientierte Arbeitsbedingungen eine Rolle spielen.

Welche Rolle spielt hier ein Austausch unter den Projektträgern?

Klawitter: In dem ganz kleinen Rahmen unserer "rückenwind+" - Projektlandschaft sehen wir, wie hilfreich die in den letzten Jahren aufgebauten Vernetzungsstrukturen im Programm sind. Hier stellen wir immer wieder fest, dass der Austausch zwischen den Projektträgern sehr kooperativ abläuft. Zum Beispiel, wenn ein Träger über den verbandsbezogenen Mail-Verteiler Kolleginnen und Kollegen fragt, wer ihm bei der Auswahl und dem Aufbau von E-Learning-Modulen mit Erfahrungen weiterhelfen kann. Weil im Rahmen des "rückenwind+" - Projekts jetzt aus aktuellem Anlass einzelne Qualifizierungen nicht mehr wie geplant in Präsenzformaten stattfinden können, ist diese Vernetzung natürlich ein großer Vorteil. Auch sind die Projektverantwortlichen und Mitarbeiter*innen der "rückenwind+" - Projekte immer mehr über diverse Social-Media-Kanäle miteinander vernetzt, das kommt ihnen für den niederschwelligen Austausch derzeit sehr zu Gute. Und auch wir profitieren bei der Beratung natürlich von den Erfahrungen und Gesprächen mit vielen unterschiedlichen Projektträgern - gerade, wenn es um Möglichkeiten für digital-gestützte Qualifizierungsangebote geht.

Wegner: Im Moment ist ja noch völlig unklar, wie sich die kommenden Monate entwickeln und mit welchen Rahmenbedingungen wir uns auch im ESF-Förderprogramm auseinandersetzen müssen. Aber auch wir als ESF-Regiestelle nutzen gerade für die Kommunikation verstärkt Videokonferenzen und Online-Seminare. Zunehmend finden auch Projektberatungen, die wir eigentlich bei uns vor Ort durchgeführt hätten, im virtuellen Raum statt. Vielleicht entwickeln sich hier derzeit interessante Austauschkonzepte und -formate, die auch in Zukunft sinnvoll eingesetzt werden können. - In dieser Hinsicht sehen wir in der derzeitigen Situation auch Chancen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Videokonferenz
Online-Beratungsgespräch der ESF-Regiestelle zum "rückenwind+" - Vorhaben des Paritätischen Landesverbandes Brandenburg e.V. © Paritätischer Landesverband Brandenburg e.V.

Das ESF-Programm "rückenwind - Für die Beschäftigten und Unternehmen in der Sozialwirtschaft" (kurz: rückenwind+) ist ein im Jahr 2015 gestartetes Förderprogramm zur Fachkräftesicherung in sozialen Berufsfeldern. Ansatzpunkt ist die Personal- und Organisationsentwicklung in Unternehmen und Verbänden der gemeinnützigen Sozialwirtschaft. Ziel der Förderung ist die Verbesserung der Anpassungs- und Beschäftigungsfähigkeit der Beschäftigten in der Sozialwirtschaft in Verbindung mit einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Organisationsstrukturen in den Einrichtungen, Diensten und Verbänden. Das Förderprogramm wurde gemeinsam vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales und der BAGFW entwickelt. Gefördert wird es aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) und aus Bundesmitteln.

Weitere Informationen zum Programm rückenwind+ finden Sie auf der Website der Regiestelle
Kontakt: regiestelle@bag-wohlfahrt.de

Auszug aus dem ESF-Newsletter