Herausforderungen, Umdenken, neue Ideen: Die Pandemie und aktuelle Aktivitäten im ESF-Sozialpartnerprogramm "Fachkräfte sichern: weiter bilden und Gleichstellung fördern"
- Datum
- 13.08.2020
Die Weiterbildung und Gleichstellung Beschäftigter in Betrieben vorantreiben: Das ist der Auftrag von aktuell über 100 Projekten im ESF-Programm "Fachkräfte sichern" (auch kurz "Sozialpartnerrichtlinie" genannt). Wie diese Arbeit unter den aktuellen Vorzeichen der Corona-Krise aussieht, davon berichten die programm-begleitende Regiestelle "Fachkräfte sichern" und Leitende zweier geförderter Vorhaben der "Initiative - aktiv in Betrieben der Metall- und Elektroindustrie und in Krankenhäusern".
Die Corona-Krise und die Aktivitäten zur Eindämmung der Pandemie der letzten Monate wirkten sich auf zahlreiche Bereiche unseres gesellschaftlichen Lebens aus - ganz zentral sind die Effekte im Arbeitsleben spürbar. Branchen- und tätigkeitsabhängig sind Beschäftigte und Betriebe in unterschiedlicher Weise betroffen: In der Metall- und Elektroindustrie etwa machen sich Exportrückgänge, unterbrochene Lieferketten und Konsumzurückhaltung bemerkbar, führten zum Stillstand der Produktion und Kurzarbeit in vielen Betrieben. Die Tätigkeit in "systemrelevanten" Bereichen dagegen - etwa in der Gesundheitsbranche, im Einzelhandel, in der Transport- oder Logistikbranche - bedeutete für Beschäftigte mitunter einen erhöhten, teils auch gesundheitlich risikobehafteten Arbeitseinsatz.
Aktuell rund 100 Projekte treiben bundesweit im ESF-Sozialpartnerprogramm "Fachkräfte sichern" in Betrieben aller Branchen die Weiterbildung und Gleichstellung Beschäftigter voran - und sind damit ganz unmittelbar von den oben beschriebenen Entwicklungen betroffen: Denn konfrontiert mit der Krise, legten viele Unternehmen ihre Teilnahme an den Qualifizierungsprojekten von "Fachkräfte sichern" zunächst auf Eis. Für die Träger des ESF-Programms bedeuten die letzten Monate daher eine ganz enorme Herausforderung: Betriebs-Schulungen und Coachings werden teils auf unbestimmte Zeit verschoben, Formate und Fortbildungen müssen ad-hoc digitalisiert werden, teils findet sich Verunsicherung, ob Projekt und Inhalte in krisenhaften Zeiten überhaupt noch Anklang bei Betrieben finden werden.
Die programm begleitende Regiestelle unterstützt die Träger in der Sozialpartnerrichtlinie in dieser herausfordernden Situation nach Kräften: Über Beratungen zu möglichen Projektanpassungen, aber auch mit dem Angebot von Online-Workshops. Bereits viermal seit April 2020 kamen Projektträger so in größerer Runde zusammen, tauschten sich aus unter Moderation der Regiestelle und begleitet durch fachliche Inputs zu Handlungsstrategien, digitalen Tools, neuen Bedarfen hinsichtlich Gleichstellung und Weiterbildung, den Branchenlagen und Zukunftsperspektiven.

Lesen Sie im Folgenden von den Erfahrungen und Eindrücken der Projektleiter*innen zweier Projekte der "Initiative - aktiv in Betrieben der Metall- und Elektroindustrie/-Handwerk sowie im Krankenhaussektor".
Mit "Krisen-Tagebüchern" nachhaltig aus der Krise lernen: Marie-Luise Koch zur aktuellen Projektarbeit in und mit Krankenhäusern

In Zeiten von COVID-19 gilt es nicht nur, das kurzfristig Notwendige zu tun, sondern auch daraus für die Zukunft zu lernen und die Krise als eine Lernzeit, Zeit des Entwickelns, Improvisierens und kreativen Schaffens zu begreifen. Diese Haltung lässt sich gerade jetzt auf unsere laufenden Projekte innerhalb der Sozialpartnerrichtlinie unter dem Motto "Fachkräfte sichern" übertragen.
Zwei Projekte an Krankenhäusern in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein starteten zum 01.04.2020 unter nicht gerade optimalen Bedingungen. Geplante Präsenz-Einheiten waren ausgesetzt, und systemrelevante Einrichtungen des Gesundheitswesens standen insbesondere zur Hochzeit der Corona-Pandemie in Deutschland unter besonderem Druck, sodass die ursprüngliche Zielsetzung des Projektes in den Hintergrund rückte. Auch ein bereits seit 2018 laufendes Projekt in Bayern geriet unter den neuen Interessensverschiebungen und Hygieneanforderungen ins Stocken.
Diese Herausforderungen haben wir als Verantwortliche in der Projektgestaltung zum Anlass genommen, uns noch intensiver mit den Projektlotsen, Personalentwicklern und der Führung über Online-Coaching zu vernetzen, um gemeinsam konstruktive Lösungen für den weiteren Projektverlauf zu entwickeln und über das Projekt bei der Navigation durch die Krise unterstützend mitzuwirken.
Ein wichtiger Baustein war die Einführung eines sogenannten Krisen-Tagebuchs. Es unterstützt die Partnerbetriebe in der Resilienz- und Selbstwirksamkeitsstärkung und ermöglichte es, besondere Entwicklungen, Erfahrungen und insbesondere Good-Practice-Strategien in der Krise zu identifizieren und zu fixieren. Wie wird der Arbeitsalltag in der Krise erlebt, wie verändert sich die Kommunikation, was läuft gut und lässt sich auf die Zeit nach der Krise übertragen und wie können die Mitarbeiter*innen sowohl in als auch nach der Krise nachhaltig unterstützt werden. Die herausgearbeiteten Ergebnisse werden curricular in den laufenden Projekten berücksichtigt und verbindlich verankert, um somit einen Mehrwert für die anstehenden Schulungsphasen in heterogenen, berufsgruppenübergreifenden Gruppen zu erzeugen und alle Mitarbeiter*innen mitzunehmen.
Auch wenn der Ausbruch der COVID-19 Pandemie mehrere Monate zurückliegt, sind ihre Auswirkungen auch heute noch allgegenwärtig, sodass die Krisen-Tagebücher fester Bestandteil der Projektarbeit bleiben, um die gewonnenen Erkenntnisse nicht nur für die einzelnen Einrichtungen im Rahmen der Projekte zielführend zu nutzen, sondern wertvolle Impulse für den direkten Arbeitsalltag der gesamten Branche zu setzen.
Weitere Informationen zum Projekt "KAA - Digitale Inklusion" finden Sie hier.
Die Krise als Chance für die Digitalisierung: Andreas Franke zur Projektarbeit in der Metall- und Elektroindustrie und im Handwerk

In zwei Projekten der "Sozialpartnerrichtlinie" fördern wir durch Qualifizierung und Unterstützung bei der Entwicklung von Personalentwicklungsstrukturen die Digitalisierung von KMUs der Metall- und Elektroindustrie und des Handwerks im Ruhrgebiet. Die beteiligten Betriebe sind eine bunte Mischung: Ingenieurleistungen für Wasserkraftanlagen, Pumpenhersteller, Heiz- und Klimatechnik, Engineering Solution (Windkraft), Malerhandwerk, Dachbau, SHK, Fensterbauer etc. Als Anfang März die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie in Kraft traten, legten alle beteiligten Betriebe ihre Teilnahme an unseren Schulungen auf einen Schlag erst mal auf Eis. Das Thema Weiterbildung war für die Unternehmen im Kontext der akuten Herausforderungen zunächst nachrangig.
Dennoch nehmen wir die Krise auch als Chance war. Zum einen hat es unsere eigene Weiterentwicklung, hier insbesondere die digitalen Kapazitäten, befördert. So haben wir beispielsweise verschiedene digitale Formate entwickelt und Inhalte unserer Präsenzeinheiten für die Betriebe als Video-Tutorials verfügbar gemacht.
Zum anderen werden aber auch Veränderungsprozesse in den beteiligten Betrieben angestoßen. Mit den "Projektlotsen", also Beschäftigten in den beteiligten Betrieben, die unsere direkten Ansprechpartner sind, führen wir regelmäßige Videocalls - so bleiben wir nah an "unseren Betrieben", wissen, wann die Bereitschaft für Trainings (in Präsenz oder Online) wieder gegeben ist. Vor allem bekommen wir ganz aktuell die Themen mit, die die Betriebe krisenbedingt umtreiben. Wir nehmen sehr stark wahr, dass durch die Verlagerung vieler Arbeiten ins Homeoffice während der letzten Monate neue Weiterbildungsbedarfe bestimmter Beschäftigtengruppen entstehen: Fragen zum Datenschutz bei der Verwendung digitaler Tools, für Leitungsebenen auch Fragen nach rechtlichen Aspekten hinsichtlich Arbeiten im Homeoffice. Vor allem das Thema "Führen auf Distanz" hat für Leitungskräfte eine neue Relevanz bekommen: Wie können Aufgaben und Aufträge gut gesteuert werden, wenn ein Teil der Belegschaft im Homeoffice arbeitet, ein Teil vor Ort im Betrieb, ein weiterer Teil unterwegs auf Montage ist? Wie können Führungskräfte dabei den unterschiedlichen Bedürfnissen Beschäftigter hinsichtlich autonomen Arbeitens und Begleitung gerecht werden? Hier sehen wir viele Aspekte, die unsere Projektarbeit bezüglich der Förderung nachhaltiger Personalentwicklungsstrukturen und betrieblicher Weiterbildung direkt betreffen und die uns auch zukünftig weiter begleiten werden.
Vereinzelt konnten wir nun schon wieder Aktivitäten vor Ort mit Betrieben durchführen. Zukünftig werden digitale Formate aber sicherlich einen stärkeren Anteil in der Projektarbeit einnehmen als vor der Krise.
Entlastet hat uns ganz klar die schnelle Reaktion des Bundesverwaltungsamts und des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, z.B. hinsichtlich der Möglichkeit von Projektverlängerungen. Auch die durch die Regiestelle "Fachkräfte sichern" organsierten virtuellen Workshops zum Austausch der Projekte untereinander sind wichtig für uns: So lernen wir gegenseitig von den Wegen, die andere Projekte im Umgang mit den aktuellen Herausforderungen gegangen sind, können im Austausch eigene Strategien ggf. revidieren und neu denken. Als Projektträger in diesen Zeiten sind wir ja gewissermaßen alle Pioniere.
Weitere Informationen finden Sie auf den Projektwebseiten "Digitale Netzwerker/-innen Östliches Ruhrgebiet" und "Ratzfatz digital".
Das ESF-Programm "Fachkräfte sichern - weiterbilden und Gleichstellung fördern"
Mit der ESF-Sozialpartnerrichtlinie "Fachkräfte sichern: weiter bilden und Gleichstellung fördern" unterstützt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) die Anstrengungen der Sozialpartner und betrieblichen Akteure bei der Fachkräftesicherung und Anpassung an den demografischen und technologischen Wandel. Das Programm wurde in enger Abstimmung mit der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) entwickelt, begleitet und umgesetzt. In der laufenden ESF-Förderperiode 2014 - 2020 sind im Rahmen der Sozialpartnerrichtlinie bisher bundesweit rund 150 Projekte gestartet. Über die direkte Arbeit in Betrieben und mit ihren Beschäftigten zielen die Projekte auf den Ausbau nachhaltiger Weiterbildungsstrukturen in Unternehmen und die Verbesserung der gleichberechtigten Teilhabe von Frauen am Arbeitsmarkt. Die Regiestelle "Fachkräfte sichern", eine Arbeitsgemeinschaft des Forschungsinstituts Betriebliche Bildung (f-bb) und des DGB Bildungswerks, begleitet die organisatorische und inhaltliche Umsetzung der Initiative.
Weitere Informationen zum ESF-Programm „Fachkräfte sichern“ finden Sie auf dem ESF-Webportal sowie auf der Website der Regiestelle.