Beispiel für gelungene Integration: Afghanin meistert Schulabschluss und erhält ihr erstes Zeugnis - mit 33 Jahren

Datum
16.12.2021

Sediqa Ismaili, die 2015 mit ihrem Mann und der gemeinsamen Tochter aus Afghanistan nach Deutschland floh, war verzweifelt, weil sie bis 2020 keine berufliche Perspektive für sich finden konnte. Ihre Betreuerin beim Jobcenter, Elisabeth Thewes, vermittelte sie schließlich in das ESF-Bundesprogramm "Stark im Beruf", das vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und vom Europäischen Sozialfonds (ESF) gefördert und in Garmisch vom Bildungsträger "Frau & Beruf GmbH" umgesetzt wird.

Drei Personen halten ein Dokument
Sebastian Schranner - prüfender Lehrer der Bürgermeister-Schütte-Schule, Garmisch-Partenkirchen, Laura Erben - Integrationsbeauftragte des Landeskreises Garmisch-Partenkirchen und Sediqa Ismaili - "SIB"-Teilnehmerin (v.l.n.r.) © Frau & Beruf GmbH

Die Familie Ismaili hat nach ihrer Flucht nach Deutschland in Garmisch-Partenkirchen eine neue Heimat gefunden und sich in den vergangenen Jahren vorbildlich integriert. Inzwischen leben die Ismailis in einer eigenen Wohnung. Der Familienvater machte den Führerschein und ist versicherungspflichtig beschäftigt. Die ältere Tochter geht in die Realschule, die jüngere, die in Deutschland geboren wurde, kommt im Herbst in den Kindergarten. Nur Sediqa Ismaili selbst sah für sich keine Perspektive in Deutschland, insbesondere keine berufliche. Aber sie hatte einen Traum: Sie wollte mit Kindern arbeiten, als Pflegerin oder Erzieherin. Immer wieder erkundigte sie sich in ihrer neuen Heimat, wie dieser Wunsch Realität werden kann. Aber überall bekam sie Absagen, denn Grundvoraussetzung für eine Berufsausbildung ist ein Schulabschluss. Und Sediqa Ismaili hat in Afghanistan niemals eine Schule von innen gesehen. Als Mädchen durfte sie diese nicht besuchen.

Mittlerweile aber gibt es für sie eine Perspektive, wie sie in ihrem Traumberuf arbeiten kann, zumindest ist der Grundstein dafür gelegt: Sie hat den für eine weitere Ausbildung nötigen Mittelschulabschluss geschafft. Maßgeblich dazu beigetragen hat - neben ihrer eigenen großen Motivation und ihrem Fleiß - der Bildungsträger "Frau & Beruf GmbH". Dieser setzt im Landkreis das ESF-Programm "Stark im Beruf" um.

"Sediqa sprach schon beim ersten Kennenlernen sehr gut Deutsch; sie hatte sich die Sprache autodidaktisch beigebracht", erinnern sich Aline Manthey und Ernestine Stadler, Mitarbeiterinnen des Bildungsträgers "Frau & Beruf". Aber sie war auch sehr verzweifelt. Und sehr ehrgeizig. "Sie ist so begeistert von der Sprache, dass sie Wort-Ungetüme wie "Kommunikationsfähigkeiten" in ihr Vokabelheft einträgt", fährt Stadler fort. Sie und ihre Kollegin sind von Anfang an von Sediqa Ismaili’s Ehrgeiz beeindruckt und unterstützen sie seit 2020 bei ihrer beruflichen Entwicklung.

"Mein größter Wunsch ist es, in der Kindererziehung zu arbeiten", betonte Sediqa Ismaili schon beim ersten Kontakt mit "Frau & Beruf" immer wieder. Die Hürde des Schulabschlusses hat ihrem Wunsch keinen Abbruch getan. Aline Manthey und Ernestine Stadler suchten nach einem Weg, wie Sediqa Ismaili diesen nachholen konnte. Sie kontaktierten Laura Erben, die Integrationsbeauftragte des Landkreises, die alle Hebel in Bewegung setzte. In Herrn Schranner von der Bürgermeister-Schütte-Schule in Garmisch-Partenkirchen fand sie den idealen Partner, der Frau Ismaili einen gangbaren Weg zum Mittelschulabschluss aufzeigte - als Externe. Kooperativ und hilfsbereit, aber unmissverständlich die notwendige Leistung einfordernd, stand er Sediqa Ismaili mit gutem Hilfsmaterial zur Seite. In der Zwischenzeit fand sich dank der Vermittlung der Caritas Garmisch-Partenkirchen eine Nachhilfelehrerin für sie. Die pensionierte Schuldirektorin Frau Müller-Bardorff ging beherzt und mit viel Engagement an die Sache. Elisabeth Hochschwarzer, Studentin und Tochter der Geschäftsführerin von "Frau & Beruf", half Frau Ismaili tatkräftig beim Mathe-Lernen. Im Juli 2021 war es schließlich soweit - Sediqa Ismaili schaffte den heiß ersehnten Mittelschulabschlussmit im Alter von 33 Jahren. Ihr Zeugnis belegt, dass sie sich den Stoff, den andere in neun Schuljahren lernen, in nur vier Monaten angeeignet hat. Lehrer Schranner ist begeistert: "Es war eine totale Freude, sie zu prüfen. Sie hat in allen Prüfungsfächern geglänzt." Jetzt kann Sediqa Kurs auf ihren Wunschberuf nehmen.

Kontakt zur "Stark im Beruf" Kontaktstelle:
Frau & Beruf in der Chamonixstr. 3-9 in Garmisch-Partenkirchen
Telefon 08821 9431699
gap@frau-und-beruf.net

Das Programm "Stark im Beruf - Mütter mit Migrationshintergrund steigen ein"

Das Programm "Stark im Beruf - Mütter mit Migrationshintergrund steigen ein", das vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds gefördert wird, zielt darauf ab, den Erwerbseinstieg für Mütter mit Migrationsgeschichte zu erleichtern und den Zugang zu vorhandenen Angeboten zur Arbeitsmarktintegration zu verbessern.

Die "Stark im Beruf" - Kontaktstellen sind feste Ansprechpartner für Unternehmen und bieten eine unbürokratische Vermittlung und Unterstützung von der Suche nach geeigneten Bewerberinnen bis hin zur Begleitung einer neuen Mitarbeiterin während der Probezeit.

Seit 2015 sind über 16.000 Mütter in den rund 85 Projekt-Kontaktstellen auf ihrem Weg in einen Job oder in eine Ausbildung begleitet worden, darunter 700 Frauen, die in Afghanistan geboren wurden. Nach ihrer Teilnahme am Programm "Stark im Beruf" haben 32 Prozent aller Mütter eine (sozialversicherungspflichtige) Beschäftigung oder Ausbildung aufgenommen oder sind in die Selbstständigkeit gewechselt. Das Programm "Stark im Beruf" läuft bis zum 30.06.2022

Weitere Informationen zu "Stark im Beruf" finden Sie auf dem ESF-Webportal sowie auf der Programmwebsite.

Auszug aus dem ESF-Newsletter