Projekt "Laurentio": Gute und gesunde Arbeit bei Flughafenfeuerwehren

Datum
27.10.2022

Auch die Flughafenfeuerwehr muss sich vor dem Hintergrund des rasanten gesellschaftlichen Wandels mit Themen wie psychische und physische Gesundheit, Akquise und Bindung neuer Mitarbeiter*innen, demografischer Wandel und Weiterqualifizierung aktiv auseinandersetzen, um zukunftsfähig zu bleiben. Genau hier setzt das Projekt "Laurentio" an, in dem diese zentralen Themen bedarfsorientiert und feuerwehrspezifisch bearbeitet werden. In diesem Beitrag berichtet das Projekt über seine Erfahrungen und Erfolge.

Projektbericht:

f1z"HTLF, TLF, ELW, KLAF, WLF, BvD" 1 Abkürzungen, von denen wir vor unserem Projekt noch nie etwas gehört hatten, die uns aber über die Projektlaufzeit begleiten sollten. Durch unsere Erfahrungen aus vorherigen Projekten im Bereich Personal- und Organisationsentwicklung kamen wir - das Bildungswerk der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) in Niedersachsen e.V. - über den ver.di Bundesfachgruppenleiter Feuerwehr, Arno Dick, zur Flughafenfeuerwehr. Was für Kitas und Kliniken geht, geht auch für die Feuerwehr - so dachten wir. Ergänzend zum gerade verhandelten Tarifvertrag Arbeits- und Gesundheitsschutz für Flughafenfeuerwehren entwickelten wir das Projekt "Laurentio" zusammen mit den drei Flughäfen Frankfurt Fraport, Köln/Bonn und Nürnberg.
Mit einem außergewöhnlichen Engagement der Sozialpartner startete die Zusammenarbeit bereits ein Jahr vor Projektbeginn. Projektidee, Entwicklung und Beantragung orientierten sich somit von Anfang an eng an den realen Erfordernissen. Die Zusammenarbeit war geprägt von Vertrauen, einer hohen Akzeptanz und enger Abstimmung.

Mit den Zielen Erhalt und Förderung der Beschäftigungsfähigkeit, Stärkung und Bindung der Fach‐ und Führungskräfte sowie der Entwicklung eines nachhaltigen und demografiegerechten Qualifizierungskonzeptes startete das Projekt "Laurentio" im Mai 2018.

Vorbereitungen unter schwierigen Bedingungen

Zunächst mussten jedoch einige Hürden gemeistert und überwunden werden. Denn entgegen all unserer Projekterfahrungen bezüglich Planung, Durchführung und fachlicher Expertise war in diesem Projekt alles anders. Wir standen einer Berufsgruppe gegenüber, die überwältigend engagiert, redegewandt und leidenschaftlich, aber auch schwer zu fokussieren war. Demgegenüber stand die Organisation Flughafen, in deren großem Verwaltungsapparat die Flughafenfeuerwehr personell nur einen kleinen, aber hinsichtlich seiner Bedeutung einen wichtigen Anteil einnimmt. Wir lernten das Arbeitszeitmodell - den 24-Stunden-Wachalltag - mit all seinen positiven wie negativen Facetten kennen und führten Qualifizierungen auf der Feuerwache durch - getreu nach dem Motto "Störungen oder Einsätze haben Vorrang". Zusammengefasst war es ein Projekt, in dem vor allem von Anfang bis Ende Flexibilität gefragt war.

Um zu den Beschäftigten der Flughafenfeuerwehr zu gelangen, brauchte jede Projektmitarbeiterin und jede*r externe Referent*in zunächst einen Sicherheitsausweis. Dafür musste jede*r eine aufwändige Sicherheitsüberprüfung durchlaufen und Sicherheits- und Vorfeldschulungen absolvieren. Denn die gesamte Durchführung des Projektes, sämtliche Workshops und Seminare, Interviews und Projektbesprechungen fanden direkt auf den Feuerwachen - auf dem Vorfeld - im Hochsicherheitsbereich statt. Das Projekt musste sich immer eingliedern in den 24-Stunden-Wachalltag der Feuerwehrmänner und -frauen. Dies war für uns neu und ungewohnt, im Nachhinein aber sehr wertvoll und maßgeblich für den Erfolg des Projektes. Die Begleitung im Wachalltag verschaffte uns einen Einblick in diesen Arbeitsort mit all seiner Vielfalt und Faszination, aber auch in die physischen und psychischen Belastungen, die mit diesem Beruf verbunden sind.

Beginnend mit einer systematischen Analyse der physischen und psychischen Belastungssituationen im Arbeitsalltag der Flughafenfeuerwehr konnten wir uns einen guten Überblick über die Themen und Optimierungspotenziale verschaffen.
Dazu führten wir Beobachtungen, Expert*inneninterviews, eine feuerwehrspezifische Mitarbeitendenbefragung und Ideenwerkstätten (leitfadengestützte Gruppeninterviews) durch. Hinzu kam der nicht zu unterschätzende Nebeneffekt, dass wir unseren Wortschatz, vor allem in Bezug auf feuerwehrspezifische Abkürzungen und Redewendungen, um ein Vielfaches erweitern und damit auch bei den Beschäftigten eine hohe Akzeptanz gewinnen konnten.

Auf dieser Grundlage haben wir von August 2018 bis Februar 2020 zahlreiche Workshops und Seminare zur individuellen Gesunderhaltung am Arbeitsplatz, Grundlagen der Prävention und Gesundheitsförderung sowie Stressmanagement durchgeführt. Neben individuellen Gesundheitscoachings wurden in Werkstatt- und Strategiegesprächen Maßnahmenpläne entwickelt und in Umsetzungsworkshops konkretisiert und reflektiert. Die Workshops erforderten vor allem von den Projektmitarbeiterinnen und Referent*innen jederzeit höchste Flexibilität. Die Gruppenzusammenstellung wechselte je nach Wachabteilung, Wache und Schicht in Größe und auch in den Dienstgraden. Die Workshop-Zeiten variierten stark und wurden mitunter sehr kurzfristig am selben Tag noch angepasst. Zur Stärkung der Fach- und Führungskräfte entwickelte das Projektteam gemeinsam mit allen Sozialpartnern ein umfangreiches und integratives Qualifizierungskonzept. Dieses Konzept stellte den Kern des Projektes dar. Auf Basis der quantitativen und qualitativen Ergebnisse aus den Workshops, Seminaren und Befragungen sollten sowohl Führungskräfte als auch die Mitarbeiter*innen der Mannschaft in verschiedenen Modulen wie z.B. "Kommunikation", "Konfliktgespräche" und "(Führungs-)Persönlichkeit verstehen" qualifiziert werden. Das übergeordnete Ziel war dabei, im Dialog eine gemeinsame Feuerwehr- und Führungskultur zu entwickeln. Das Konzept stand, die Teilnehmendengruppen waren zusammengestellt und der Start der Maßnahmen war für Februar 2020 vorgesehen.

Flexibilität während der Coronapandemie

Dann kam der Lockdown mit einem Zutrittsverbot an allen Flughäfen bis weit ins Jahr 2021 hinein. Einstellung des Flugverkehrs, Kurzarbeit und Stellenabbau waren nun die vorherrschenden Themen. Ein neues Konzept und neue Formate mussten entwickelt werden. Schnell wurden die Maßnahmen umgestellt auf digital. Zugute kam dem Projekt hierbei die hohe Technikaffinität der Feuerwehrfrauen und -männer. Seminarräume wurden digital aufgerüstet. In gemeinsamen Videokonferenzen mit den Projektpartnern wurden die Themen neu bewertet und an die aktuellen Bedürfnisse angepasst. Das Projektteam bereitete die Qualifizierungsinhalte in Form von Handouts und digitalen Selbstlernvideos auf und stellte den Beschäftigten alles auf einer Projektwebsite zur Verfügung. Die Projektlots*innen und Unterstützer*innen vor Ort informierten, motivierten und organisierten freie Dienstzeiten für die Beschäftigten, um die zur Verfügung gestellten Materialien zu bearbeiten. Ergänzend wurden regelmäßige Online-Feedback-Meetings angeboten, in denen die Teilnehmenden gemeinsam mit unseren Projektmitarbeiterinnen und externen Referent*innen das Gelernte besprechen, reflektieren und vertiefen konnten.

Insgesamt konnten trotz Coronapandemie 217 Präsenzveranstaltungen durchgeführt und mit über 53 Online-Veranstaltungen sowie vier interaktiven Selbstlernvideos und einem Selbstlernreader die Projektziele erreicht werden. Durch viel Vertrauen, Engagement, Flexibilität, das großzügige Entgegenkommen durch den Fördermittelgeber (Verlängerung des Projektes und Anerkennung von Online- und Selbstlernformaten), aber auch aufgrund einer hohen Frustrationstoleranz aller Beteiligten konnte das Projekt in jeglicher Hinsicht sehr erfolgreich abgeschlossen werden.

Breite Palette an Produkten aus dem Projekt

Im Rahmen des Projekts wurde eine Reihe von Produkten erstellt, die über den gesamten Projektzeitraum auf verschiedenen feuerwehrspezifischen Tagungen, Symposien und Netzwerktreffen von Berufs- und Werkfeuerwehren vorgestellt und verbreitet wurden. Dazu gehörten u.a.:

  • Eine feuerwehrspezifische Mitarbeiter*innenbefragung in Kombination mit einer qualitativen Diagnostik durch Ideenwerkstätten (leitfadengestützt) zur Erfassung von ganzheitlichen psychischen und physischen Belastungen im Arbeitsalltag bei der Feuerwehr
  • Feuerwehrspezifische Qualifizierungen zu den Themen Stressprävention, Förderung der individuellen Gesundheitskompetenz, Kommunikation und Umgang mit Konflikten im 24 h Wachalltag sowie zur Stärkung der Leitungs- und Führungskräfte
  • Ein Produktflyer zum Thema Sport- und Gesundheitscoaching für Feuerwehren: Im Sport- und Gesundheitscoaching geht es um den Transfer von aktuellen sportwissenschaftlichen Erkenntnissen für eine feuerwehrspezifische Trainingsgestaltung in die Praxis des 24-Stunden-Wachalltags einer Feuerwehr.
  • Die Website für das Projekt "Laurentio": https://www.bw-verdi.de/laurentio

Die ESF-Sozialpartnerrichtlinie "Fachkräfte sichern: weiter bilden und Gleichstellung fördern"

Das Projekt "Laurentio" wurde im Rahmen der Sozialpartnerrichtlinie "Fachkräfte sichern: weiter bilden und Gleichstellung fördern" aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) und des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) gefördert. Mit der Richtlinie unterstützt das BMAS die Anstrengungen der Sozialpartner und betrieblichen Akteure bei der Fachkräftesicherung und Anpassung an den demografischen und technologischen Wandel. Das Programm wurde in enger Abstimmung mit der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) entwickelt, begleitet und umgesetzt. Über die direkte Arbeit in Betrieben und mit ihren Beschäftigten zielen die Projekte auf den Ausbau nachhaltiger Weiterbildungsstrukturen in Unternehmen und die Verbesserung der gleichberechtigten Teilhabe von Frauen am Arbeitsmarkt.
Die Regiestelle "Fachkräfte sichern", eine Arbeitsgemeinschaft des Forschungsinstituts Betriebliche Bildung (f-bb) und des DGB Bildungswerks, begleitet die organisatorische und inhaltliche Umsetzung der Initiative.

Weitere Informationen zum Programm "Fachkräfte sichern" finden Sie auch auf dem ESF-Webportal sowie auf der Programmwebsite.

f1 1 Die Abkürzungen stehen für:

  • HTLF - Hilfeleistungstanklöschfahrzeug,
  • TLF - Tanklöschfahrzeug,
  • ELW - Einsatzleitwagen,
  • KLAF - Kleinalarmfahrzeug,
  • WLF - Wechselladerfahrzeug,
  • BvD - Brandmeister vom Dienst

    zurück

Auszug aus dem ESF-Newsletter