Smarte Kopfsteuerung für elektrische Rollstühle

Datum
31.03.2022

Viele Menschen weltweit sind auf einen Rollstuhl angewiesen, sei es aufgrund von Verletzungen an der Wirbelsäule, des Verlusts von Gliedmaßen oder Krankheiten wie Parkinson oder Multipler Sklerose. Ein großer Teil von ihnen ist darüber hinaus nicht in der Lage, ihren Rollstuhl mit den eigenen Händen zu bedienen, da sie nur noch ihren Kopf bewegen können. Um diesen Menschen trotzdem eine möglichst große Selbständigkeit in ihrem Alltagsleben zu ermöglichen, hat das im Rahmen des ESF-Programms "EXIST" geförderte Start-up "munevo GmbH" eine Sondersteuerung für elektrische Rollstühle entwickelt, die auf dem Einsatz von sogenannten Smartglasses ("intelligenten" Brillen) basiert.

Ein Frau im Rollstuhl
Freihändiges Rollstuhlfahren: Steuerung des Rollstuhls über Kopfbewegungen mithilfe der Smartglasses-Technologie "munevo DRIVE" © munevo GmbH

Menschen, die die zur Fortbewegung einen voll-elektrischen Rollstuhl nutzen müssen und krankheitsbedingt ihre Hände nicht mehr im vollen Umfang einsetzen oder nur noch ihren Kopf bewegen können, sind bisher auf Rollstühle mit unkomfortablen Kinn- und Kopfsteuerungen angewiesen. Das Start-up "munevo GmbH" hat mit "munevo DRIVE" eine neue Art der Steuerung für Menschen entwickelt, die einen elektrischen Rollstuhl kaum oder nicht auf konventionelle Art steuern können. Im Gegensatz zu den etablierten Steuerungen erfasst "munevo DRIVE" als weltweit erstes System die Kopfbewegungen mit einer Smartglass-Technologie, die mittels Sensoren und einer Software Signale direkt an das Steuerungssystem des Rollstuhls sendet. Das erhöht den Bedienkomfort für Rollstuhlfahrer*innen erheblich und ermöglicht zugleich den Zugriff auf weitere Geräte und Anwendungen wie beispielsweise das Smartphone oder einen Roboterarm. Durch einfache Dreh- und Neigungsbewegung des Kopfes lässt sich der Rollstuhl mit "munevo DRIVE" problemlos und sicher fortbewegen. Ebenso ist die Bedienung der Software mittels Kopfbewegungen möglich.
Das System kann sehr einfach an alle gängigen Rollstühle angeschlossen werden und lässt sich an die individuellen Bewegungsmöglichkeiten anpassen. Die Benutzeroberfläche und Bedienung von "munevo DRIVE" sind intuitiv gestaltet und sehr leicht zu erlernen. Der*die Rollstuhlfahrer*in kann auf die wichtigsten Funktionen sehr schnell zugreifen. Zum Beispiel kommt man durch das Starten der App direkt in den Fahrmodus. Durch einfaches Kopfnicken (rechts/links), kann der Fahrmodus nach links bzw. rechts geändert werden. Durch Kopfschütteln kommt man ins Menü. Befehle bestätigt man durch ein zustimmendes Kopfnicken. Menüpunkt nach oben durch nach oben gucken usw.

Person sieht durch eine Brille
Smartglasses mit Benutzeroberfläche zur Navigation von "munevo DRIVE" © munevo GmbH

Unterstützung des Start-ups "muneo GmbH" durch das "EXIST-Gründerstipendium"

Der Wirtschaftsinformatiker Claudiu Leverenz und der Maschinenbauer Konstantin Madaus bauten das Unternehmen "muneo GmbH" mithilfe des ESF auf. So konnten sich die beiden Geschäftsführer und Gründer zu 100 Prozent auf ihr Unternehmen fokussieren und mit ihrem Team die weltweit einzigartige Smartglass-Steuerung für elektrische Rollstühle entwickeln. Inzwischen sind die Informatiker Deepesh Pandey und Aashish Trivedi mit an Bord. Und "munevo DRIVE" ist um einige Features gewachsen, die schwerstbehinderten Menschen ein selbstständigeres Leben ermöglichen sollen. So ermöglicht die Anwendung die Steuerung des Smartphones oder auch eines Roboterarmes. Über das Mobiltelefon wiederum lassen sich Smart-Home-Funktion nutzen (Fenster öffnen/schließen, Licht an/aus usw.)

Eine Menschengruppe
Gründungsteam: Deepesh Pandey, Konstantin Madaus, Aashish Trivedi, Claudiu Leverenz (v.l.n.r.) © munevo GmbH

In einem Interview berichtet Gründer Leverenz, dass er ohne die Förderung durch "EXIST" nebenher noch viel mehr hätte arbeiten müssen, um die Miete bezahlen zu können, denn er hatte keine Ersparnisse auf dem Konto, die er für seine Forschung hätte verwenden können. Mithilfe der Sachmittelförderung von "EXIST" konnten die Gründer beispielsweise die Brillen einkaufen und testen sowie die klinische Studie durchführen. Ein wichtiger Faktor war auch die beratende Unterstützung durch "EXIST", z.B. in Form von verschiedenen Workshops zum Thema Teambildung, aber auch, wie es weitergehen kann, wenn das "EXIST-Gründerstipendium" ausgelaufen ist - also Hilfe zur Selbsthilfe. Welche weiteren Herausforderungen bei der Gründung das Team von "munevo GmbH" zu stemmen hatte und wie die Zukunftspläne des Unternehmens aussehen, können Sie im Interview mit Claudiu Leverenz ausführlicher nachlesen.

Zum Interview

Das ESF-Bundesprogramm "EXIST"

Ziel des ESF-Bundesprogramms "EXIST", das aus Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klima sowie des Europäischen Sozialfonds gefördert wird, ist es, das Gründungsklima an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen zu verbessern. Darüber hinaus sollen die Anzahl und der Erfolg technologieorientierter und wissensbasierter Unternehmensgründungen erhöht werden. "EXIST" umfasst drei Förderprogrammlinien:

  • Mit "EXIST-Forschungstransfer" werden herausragende forschungsbasierte Gründungsvorhaben, die mit aufwändigen und risikoreichen Entwicklungsarbeiten verbunden sind, gefördert.
  • Das "EXIST-Gründerstipendium" unterstützt die Vorbereitung innovativer Existenzgründungen aus Hochschulen und Forschungseinrichtungen, insbesondere die Erstellung eines tragfähigen Businessplans und die Entwicklung marktfähiger Produkte und Dienstleistungen.
  • "EXIST-Gründungskultur" wird in Form eines Wettbewerbs "Die Gründerhochschule" durchgeführt. Ziel ist es, hochschulweite Gesamtstrategien zu entwickeln und diese umzusetzen, um eine Gründungskultur und mehr Unternehmergeist an Hochschulen zu etablieren. Im November 2018 ist mit der Richtlinie "EXIST-Potentiale" eine neue Wettbewerbsrunde in "EXIST-Gründungskultur" gestartet. "EXIST-Potentiale" wird ausschließlich vom Bund gefördert.

Weitere Informationen zum Programm finden Sie auf dem ESF-Webportal sowie auf der Programmwebsite.

Auszug aus dem ESF-Newsletter