Die unsichtbaren Grenzen von Herkunft und Geschlecht: "IQ"-Studie zum Migrant-Gender-Pay-Gap
- Datum
- 29.05.2024
Trotz gleichem Anforderungsniveau und gleicher Berufsgruppe verdienen Beschäftigte aus Asylherkunftsländern in Engpassberufen weniger als ihre Kolleg*innen mit deutscher Staatsangehörigkeit. Außerdem bekommen Männer im gleichen Beruf stets einen höheren Lohn als Frauen. Dies sind Ergebnisse der Studie "Ungleiche Bezahlung in Engpassberufen. Die unsichtbaren Grenzen von Herkunft und Geschlecht" der "IQ" Fachstelle Einwanderung und Integration.
Die im Januar 2024 erschienene Analyse zum Migrant-Gender-Pay-Gap basiert auf der Auswertung der Daten einer Sonderabfrage der Bundesagentur für Arbeit (BA) für den Zeitraum von 2016 bis 2021.
Engpassberufe sind Berufskategorien, in denen es einen Mangel an qualifizierten Fachkräften gibt, der durch eine kurzfristige Nachfrageübersteigung entsteht. Ein dauerhafter Mangel liegt vor, wenn Engpässe regelmäßig auftreten. Die BA bewertet die Fachkräftesituation bundesweit jährlich anhand von sechs statistischen Indikatoren (u.a. der Besetzungsdauer für gemeldete offene Stellen, der berufsspezifischen Arbeitslosenquote und der Entgeltentwicklung). Für die Studie wurden folgende Berufsgruppen betrachtet:
- Tiefbau
- Energietechnik
- Gesundheits- und Krankenpflege, Rettungsdienst und Geburtshilfe
- Nicht ärztliche Therapie und Heilkunde
- Klempnerei, Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik
- Ver- und Entsorgung
In diesen Engpassberufen hat die Anzahl der Beschäftigten ohne deutsche Staatsangehörigkeit deutlich zugenommen, insbesondere in der Berufsgruppe Gesundheits- und Krankenpflege, Rettungsdienst und Geburtshilfe, wo sich die Zahl von 2016 bis 2021 verdoppelt hat. Der Anstieg in dieser Berufsgruppe ist besonders geprägt durch Fachkräfte aus Asylherkunftsländern (Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia, Syrien). Dies verdeutlicht die Aufwärtsmobilität von Menschen aus diesen Ländern. In absoluten Zahlen jedoch besitzt in Gesundheits- und Krankenpflege, Rettungsdienst und Geburtshilfe die Mehrheit der Beschäftigten ohne deutsche Staatsangehörigkeit eine Drittstaats- oder EU-Staatsangehörigkeit.
Gehaltslücke zwischen Beschäftigten mit und ohne deutsche Staatsangehörigkeit
Eine mögliche Erklärung für den Migrant-Pay-Gap könnte laut der "IQ"-Studie sein, dass Beschäftigte ohne deutsche Staatsangehörigkeit oft in Berufen arbeiten, die generell geringer entlohnt werden, was zu verzerrten Ergebnissen auf dieser branchenübergreifenden Fachkräfteebene führt. Um zu überprüfen, ob Gehaltsunterschiede auch bei Beschäftigten bestehen, die den gleichen Beruf ausüben, haben die Studienautor*innen sich deshalb die Gehaltsunterschiede innerhalb eines Berufs angeschaut.
Der Migrant-Pay-Gap ist demnach für alle Berufe nachweisbar, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. So zeigten sich die größten Lohnunterschiede zwischen Beschäftigten mit und ohne deutscher Staatsangehörigkeit im Jahr 2021 vor allem in den Baugewerbe- und Bauhandwerksberufen.
Unterschiede in der Staatsangehörigkeit dominieren die Lohnunterschiede
Im Vergleich der Gehälter von Frauen und Männern für die Jahre 2016 und 2021 zeigte sich, dass Frauen auf Fachkräfteanforderungsniveau, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit und branchenübergreifend, weniger verdienten als Männer - der so genannte Gender-Pay-Gap. Hierbei zeigte sich, dass sich die Gehaltslücke über die Jahre hinweg kaum verringert hat. Der gleiche Trend war für die einzelnen Engpassberufe zu beobachten.
In der Aufschlüsselung der Gehaltsunterschiede nach Geschlecht und Staatsangehörigkeit (dem Migrant-Gender-Pay-Gap) auf Fachkräfteniveau und branchenübergreifend wurde jedoch deutlich, dass die Staatsangehörigkeit einen stärkeren Einfluss auf die Lohnunterschiede hat als das Geschlecht.
Zusammenfassung und Fazit der "IQ"-Studie
Zusammenfassend verdeutlicht die Analyse, dass trotz gestiegener Beschäftigungszahlen in den untersuchten Berufen nach wie vor Engpässe bestehen. Zugleich zeigen sich erhebliche Lohnungleichheiten zwischen deutschen und nicht-deutschen Staatsangehörigen sowie zwischen den Geschlechtern. Insbesondere Beschäftigte aus Asylherkunftsländern verdienen trotz vergleichbarer Qualifikationen und der Arbeit in Engpassberufen strukturell weniger als deutsche Staatsangehörige. Die geschlechtsspezifischen Gehaltsunterschiede bleiben bestehen. Aber bei Fachkräften ohne deutsche Staatsangehörigkeit ist der Gehaltsunterschied zwischen Frauen und Männern vergleichsweise gering. Dagegen ist der Unterschied zu den Gehältern deutscher Staatsangehöriger groß und hat sich im Laufe der Zeit nicht verringert.
Die Ergebnisse der Studie unterstreichen nach Ansicht der Studienautor*innen die Wichtigkeit, Zugewanderte, sowohl Frauen als auch Männer, kontinuierlich dazu zu ermutigen, sich in Engpassberufen zu bewerben und in diesen zu arbeiten, um den Bedarf an Fachkräften in diesem Bereich zu decken. Essenziell sei für die dringend benötigten Fachkräfte eine gerechte Entlohnung, um sie nicht nur anzuwerben, sondern auch langfristig zu halten. Die Faktoren, die zu Gehaltsunterschieden zwischen deutschen und nicht-deutschen Staatsangehörigen führen, müssten deshalb genauer untersucht werden. Sie sollten stärker in die aktuelle öffentliche Debatte zum Thema Gender-Pay-Gap eingebracht werden. Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft seien gefordert, effektive Lösungen für dieses Problem zu erarbeiten und damit zu mehr (Lohn-)Gerechtigkeit auf dem deutschen Arbeitsmarkt beizutragen.
Dafür sollte unter anderem berücksichtigt werden,
- was die Gründe für die strukturelle Lohndiskriminierung von Zugewanderten bei gleicher Qualifikation und ausgeübter Tätigkeit sein können,
- wie zugewanderte Fachkräfte besser zu Lohnbedingungen und ihren diesbezüglichen Rechten in Deutschland informiert und bei deren Durchsetzung unterstützt werden können,
- welche Informationsquellen und Unterstützungsangebote ihnen bekannt sind,
- wie Initiativen zur Lohntransparenz unter Zugewanderten bekannter gemacht werden können,
- ob zugewanderte Frauen diesbezüglich eine zusätzliche, spezifische Unterstützung benötigen und
- wie Unternehmen stärker für die Frage der gerechten Entlohnung sensibilisiert werden können.
Anlässlich des bundesweiten Diversity-Tages am 28.5. haben die IQ Netzwerke in Hamburg, Berlin und Brandenburg sowie der IQ Fachstelle für Einwanderung und Integration ein Erklärvideo zum Thema Migrant-Gender-Pay-Gap veröffentlicht. Zusammen machen sie sich für "Faire Migration" stark und setzen regional verschiedene Maßnahmen um. Hamburg bietet zugewanderten Fachkräften hilfreiche Informationen unter www.hamburg.netzwerk-iq.de/fair-pay.
Das Förderprogramm "IQ - Integration durch Qualifizierung"
Das Förderprogramm "IQ - Integration durch Qualifizierung" arbeitet seit 2005 an der Zielsetzung, die Arbeitsmarktchancen für Menschen mit Migrationshintergrund zu verbessern. Das Förderprogramm ist in allen 16 Bundesländern aktiv. Es erweist sich seit vielen Jahren als wichtige Adresse für Zugewanderte und Geflüchtete, die eine Arbeitsmarktintegration anstreben.
Das Programm "IQ" wird mit der aktuellen ESF Plus-Förderperiode fortgesetzt. Ziel ist die Unterstützung von in Deutschland lebenden Menschen ausländischer Herkunft, einer qualifizierten Erwerbstätigkeit in Deutschland nachzugehen und ihre vorhandenen Kompetenzen einbringen zu können. Dies umfasst Beratungsangebote zur Anerkennung, Qualifizierung und Fairen Integration, Qualifizierungsangebote - auch virtuelle und überregionale - zum Erreichen einer vollen Gleichwertigkeit von aus dem Ausland mitgebrachten Berufsabschlüssen, das Coaching und die Begleitung bis zur Aufnahme einer bildungsadäquaten Erwerbstätigkeit sowie die Sichtbarmachung non-formaler und informeller Kompetenzen. Akteure der Arbeitsmarktintegration von Menschen ausländischer Herkunft und Akteure im Bereich der Fachkräftesicherung werden angesprochen und durch Beratungs- und Schulungsangebote unterstützt. Hierzu gehören beispielsweise Unternehmen, die Arbeitsplätze mit Menschen ausländischer Herkunft besetzen möchten, die Bundesagentur für Arbeit (BA), die Länder, die Kommunen oder auch Migrantenselbstorganisationen. Das Programm wird durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und die Europäische Union über den Europäischen Sozialfonds Plus (ESF Plus) gefördert und vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge administriert. Partner in der Umsetzung sind das Bundesministerium für Bildung und Forschung und die BA.
Weitere Informationen zum Förderprogramm "IQ - Integration durch Qualifizierung" finden Sie auf dem ESF-Portal sowie auf der Website des Programms.