Antidiskriminierung in der ESF Plus-Projektarbeit verankern
- Datum
- 11.08.2025
Mit dem Fachgespräch "Diskriminierungssensible Ansätze der Förderung von Menschen mit Migrationsgeschichte im ESF Plus" präsentierte die Fachstelle Querschnittsthemen im ESF Plus praxiserprobte Ansätze, die diesen Anspruch erfolgreich umsetzen.
Menschen mit Migrationsgeschichte sind eine wichtige Zielgruppe im ESF Plus. Diese für den Arbeitsmarkt zu aktivieren und ihre Teilhabe in der Gesellschaft zu fördern, sind zentrale Anliegen der entsprechenden ESF Plus-Förderprogramme. Eine Herausforderung in der Praxis ist es, mögliche Benachteiligungen und Barrieren abzubauen, indem Menschen mit Migrationsgeschichte in ihrer Vielfalt adressiert und diskriminierungssensibel einbezogen werden, damit die Ressourcen dieser Zielgruppe berücksichtigt werden.
"Drei Grundprinzipien sollten dabei beachtet werden: Die wirkliche Einbeziehung von Menschen mit Migrationsgeschichte in die Arbeitsprozesse, eine Ressourcen- statt Defizitorientierung in der Beratung und eine durchgehend intersektionale Perspektive", so Barbara Nägele von der Fachstelle FAQT.
Wie kann dies bei der Umsetzung der ESF Plus Programme erfolgreich gelingen?
Dazu hat die Fachstelle Programmverantwortliche und Vertreter*innen umsetzender Stellen aus 12 Programmen des Bundes-ESF Plus zusammengebracht. Denn Aufgabe der "Fachstelle Querschnittsthemen im ESF Plus" (FAQT) ist es, die Akteure des ESF Plus-Bundesprogramms bei der Implementierung der Bereichsübergreifenden Grundsätze Gleichstellung der Geschlechter, Antidiskriminierung und Ökologische Nachhaltigkeit in der Förderperiode 2021-2027 zu unterstützen.
Als externer Experte konnte der Leiter des Forschungsbereichs "Migration, Integration und internationale Arbeitsmarktforschung" am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Prof. Dr. Herbert Brücker, gewonnen werden. Sein datenbasierter Überblick über die Arbeitsmarktintegration von Migrant*innen in Deutschland machte unmissverständlich deutlich: Deutschland braucht Migration, weil sie eine der wichtigsten Ressourcen für den Arbeitsmarkt, für Wachstum und die Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme ist. Um das Erwerbspersonenpotenzial konstant zu halten, wäre ein Wanderungssaldo von 400.000 Personen pro Jahr notwendig, das nur durch einen jährlichen Zuzug von etwa 1,6 Millionen Personen erreicht werden könnte. Für die Inklusion der Zugewanderten ist eine erfolgreiche Arbeitsmarktintegration und gesellschaftliche Teilhabe von ihnen sowie ihrer Nachkommen notwendig.
Prof. Brücker zeigte auch, wie es in der Realität heute aussieht: Die Erwerbstätigenquoten der Bevölkerung ohne Migrationsgeschichte liegen etwa zehn Prozentpunkte höher als bei Menschen mit Migrationsgeschichte. Es zeigen sich dabei deutliche Geschlechterungleichheiten und Unterschiede, wenn es um die Zugangswege zu Erwerbsbeteiligung geht.
Die Unterschiede der Erwerbstätigenquoten insgesamt würden vor allem auf die langsamere Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt zurückgehen, wofür Asylverfahren, Wohnsitzauflagen, Kriegs- und Fluchterfahrungen und fehlende Sprachkenntnisse verantwortlich seien. Eine vorgestellte Studie zeigt außerdem: In Regionen, in denen Ressentiments in der Bevölkerung und der Zuspruch zu rechtsextremen Parteien besonders groß sind, ist die Erwerbsbeteiligung von Geflüchteten geringer.
Der Austausch der ESF Plus Expert*innen zeigte, wie diese hemmenden Faktoren in der Praxis abgebaut werden können, um Menschen mit Migrationsgeschichte für den Arbeitsmarkt zu gewinnen.
Nicht über Menschen sprechen, sondern mit ihnen
So lautet einer der wichtigsten Grundsätze jeder Antidiskriminierungsarbeit. Wie dieser Grundsatz diskriminierungssensibel umgesetzt werden kann, zeigte Ildikó Pallmann von der IQ-Fachstelle Einwanderung und Integration. Sie arbeitet für den ESF Plus Projektträger Minor - Projektkontor für Bildung und Forschung, um Impulse aus der Perspektive der Zielgruppe in die Projektarbeit einzubringen. Dabei berät ein ehrenamtliches "Community Consulting Team" das Projektteam und gibt konkrete Handlungsempfehlungen etwa zur Zielgruppenansprache oder bei der Identifikation von Bedarfen in der Zielgruppe. Die Arbeit des Consulting Teams trägt auch dazu bei, dass die Angebote des Programms in den Communities bekannter werden. Das Team besteht aus Personen mit Migrationsgeschichte im erwerbsfähigen Alter, mit Arbeitserfahrung und Interesse an gesellschaftspolitischen Themen im Kontext Einwanderung und Arbeitsmarktintegration. Hieraus entsteht eine Win-Win-Situation: Die Fachstelle kann ihre eigenen Arbeitsansätze weiterentwickeln, während das Consulting Team als Multiplikator in die verschiedenen Communities fungiert.
Ressourcenorientierung und Empowerment
Das Projekt "Fem*Lab - vernetzt, orientiert, digitalisiert" des Ausländerrats Dresden aus dem ESF Plus-Landesprogramm Gleichstellung im Erwerbsleben in Sachsen bietet einen geschützten Raum für Frauen mit Migrationshintergrund. Die Projektverantwortliche Areej Omran zeigte, wie hier eine "ressourcenorientierte" Beratung zu Arbeitsmarkt und sozialer Teilhabe das Empowerment der teilnehmenden Frauen stärkt: Oft werden Migrantinnen nur mit ihren Defiziten konfrontiert. Im Projekt FEM*Lab wird dies umgedreht und ausgehend von ihren eigenen Bedürfnissen und Wünschen gefragt, welche Ressourcen die Ratsuchenden haben. Ressourcen, die den Frauen oft nicht bewusst sind, können etwa Sprachkenntnisse, Erfahrungen durch das Organisieren des familiären Alltags oder auch ihr religiöser Glaube, der ihnen Halt, Stärke und Sicherheit in kritischen Situationen gibt, sein. Dies wirkt auf diese motivierend und trägt wesentlich zu deren eigenem Empowerment bei, so dass sich oftmals neue Perspektiven für diese Frauen eröffnen.
Intersektionale Perspektive
Im ESF Plus-Programm Integration durch Bildung steht die Intersektionalität im Fokus. Das entsprechende Verbundprojekt "InterEmp" hat daher das Ziel, umfassende und praxisnahe Konzepte in diesem Sinne zu entwickeln und umzusetzen. Hier geht es um die Entwicklung von Methoden, die den individuellen Bedürfnissen der Zielgruppe gerecht werden und ihre Selbstbestimmung fördern. Mehrere Diversitätskategorien wie Gender, Klasse, Migration/Flucht, Behinderung etc. werden zugleich berücksichtigt, um eine effektive Unterstützung zu gewährleisten. Zudem werden Konzepte entwickelt, die der Zielgruppe ermöglichen, ihre eigenen Stärken zu erkennen und zu nutzen.
Wie wichtig diese intersektionale Perspektive in der Praxis ist, zeigten Dr. Yvonne Albrecht vom Deutschen Zentrum für Migrations- und Integrationsforschung (DeZIM) und Mervete Bobaj von Mpower e.V. auf. Nur mit einem intersektionalen Blick könnten die wirklichen Bedarfe der Zielgruppen erfasst und eine entsprechend spezifische und zielgerichtete Intervention erfolgen: So unterscheide sich etwa die Situation einer Frau mit Behinderung von der eines Mannes mit Behinderung, oder die einer geflüchteten Person mit Behinderung von der einer ohne Behinderung.
Im Fachgespräch berichteten die Teilnehmenden über weitere erfolgreiche diskriminierungssensible Ansätze in den Programmen - z.B. die Schulung des Projektpersonals, der Einsatz von Peer-Counseling-Berater*innen, die Stärkung von Teilnehmenden in Bezug auf ihre Diskriminierungserfahrungen, den organisierten Austausch zwischen Projekten sowie den offenen Umgang mit Konflikten. Auch wenn schon viel Gutes auf den Weg gebracht wurde, so Nils Pagels von der Fachstelle FAQT, bleibe die kritische Reflexion der eigenen Arbeit und Haltung für die Programm- und Projektverantwortlichen weiter wichtig. "Wir wissen, dass sich diskriminierungssensible Ansätze zwar leicht in Programmdokumenten und Projektanträgen verankern lassen - aber eine wirkliche Umsetzung ist in der Praxis eine Herausforderung für alle Beteiligten".
Nils Pagels resümiert: "Die drei vorgestellten Ansätze zeigen ESF-Akteuren konkret auf, wie in Programmen und Projekten die Perspektive der Zielgruppe besser einbezogen werden kann, wie Ressourcenorientierung und Empowerment ein größeres Gewicht bekommen könnten und was es konkret bedeuten könnte, eine intersektionale Perspektive einzunehmen. Wir merken immer wieder, wie wichtig es für alle Beteiligten ist, ressort- und programmübergreifend im geschützten Rahmen das eigene Vorgehen zu überdenken und Erfolge genauso wie Schwierigkeiten und offene Fragen in einer guten Atmosphäre besprechen zu können. Mit unseren Fachgesprächen zu den verschiedenen Querschnittsthemen bieten wir dazu die Möglichkeit. Aber auch über diese Gespräche hinaus sollten sich alle Beteiligten immer wieder Zeit und Räume zum Austausch nehmen - denn der ESF kann davon nur profitieren."