Interview zu den Aufgaben der Fachstelle Querschnittsthemen im ESF Plus:
"Wir kombinieren Praxis, externe Expertise und eigenes Know-how"
Datum
26.11.2025
Henriette Meseke leitet die Fachstelle Querschnittsthemen (FAQT) im ESF Plus. In diesem Interview erläutert sie den Beratungsauftrag der FAQT und dessen Mehrwert für die praktische Arbeit im ESF Plus.
Frau Meseke, wie würden Sie die Aufgaben und Arbeit der Fachstelle Querschnittsthemen (FAQT) beschreiben?
Meseke: Unsere Aufgabe ist es, Vorgaben der Europäischen Union zur Gleichstellung der Geschlechter, Antidiskriminierung und Ökologischen Nachhaltigkeit bei der Umsetzung des ESF Plus zu begleiten. Damit hat uns das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) als ESF Plus-Verwaltungsbehörde der Bundesregierung beauftragt.
Tatsächlich sind die Querschnittsthemen bereits in vielen ESF Plus-Förderprogrammen verankert. Wir wirken darauf hin, dass deren Realisierung in der Praxis leichter gelingt. Dazu beraten wir die Bundesministerien und alle weiteren Akteur*innen, die an der Umsetzung des ESF Plus-Bundesprogramms beteiligt sind. Wir vernetzen die ESF Plus-Akteur*innen und informieren sie über unserer Öffentlichkeitsarbeit, wie zum Beispiel über unsere FAQT-Website (www.faqt-esf.de) und über den monatlichen FAQT-Newsletter. Hier stellen wir auch regelmäßig Beispiele guter Praxis aus dem ESF-Plus vor. Wie die Querschnittsthemen in allen Phasen der Planung, Umsetzung und Bewertung von Beginn integriert werden können, das zeigen wir im Leitfaden 3QT. Dabei sprechen wir von den drei Erfolgsfaktoren: Kohärenz, Kompetenz und Kontinuität.
Wofür braucht es eigentlich die Querschnittsthemen?
Meseke: Die Querschnittsthemen sind von der EU übertragenes Recht. Und das ist auch gut so. Denn die Ungleichheiten und Diskriminierungen bei den Geschlechtern, bei Menschen mit Behinderung, im Alter, bei Migrationshintergrund und bei sexueller Orientierung bestehen nach wie vor. Auch wenn offenbar derzeit viele Menschen die Auffassung vertreten, in Deutschland ginge es ausreichend gerecht zu, zeigen wissenschaftliche Nachweise weiterhin einen großen Handlungsbedarf, insbesondere bei der Inklusion, beim Gender Pay Gap oder bei der Ausgrenzung von Menschen mit Migrationsgeschichte. Rassismus, Antifeminismus und Antisemitismus und die Anfeindungen gegen vulnerable Gruppen nehmen zu. In der Social Media-Kommunikation wird offen Gewalt angedroht. Dazu braucht es Antworten, die alle erreichen. Dass die Ökologische Nachhaltigkeit wichtig bleibt, sehen wir angesichts der massiven Folgen des Klimawandels, der bedrohten Biodiversität und des Ressourcenverbrauchs.
Der ESF Plus hat ein enormes Potenzial, um innovative Antworten auf all diese aktuellen politischen Herausforderungen zu geben.
Wenn wir zum Beispiel die vielen erfolgreichen Projekte für Migrantinnen betrachten – jetzt in dieser Förderperiode zum Beispiel im Förderprogramm "My Turn" – dann sehen wir nicht nur ein individuelles Empowerment, sondern eine Stärkung der Wirtschaftsleistung in Deutschland. Und viele Projekte kombinieren diese frauenspezifische Förderung mit nachhaltigen Projektinhalten wie Upcycling-Workshops, Fahrrad-Werkstätten mit Reparaturkursen oder Urban-Gardening-Initiativen. Dort sind dann in einem "Mikrokosmos" alle drei Querschnittsthemen entfaltet.
Welche Herausforderungen begegnen Ihnen in der konkreten Beratung?
Meseke: Die häufigste Frage ist: "Wie funktioniert die Umsetzung der Querschnittsziele in der Praxis?". Wir sehen uns immer das jeweilige Förderprogramm in seiner fachpolitischen Ausrichtung genau an und entwickeln Vorschläge für die Projektebene. Dabei führen wir in der Beratung und Vernetzung wissenschaftlich fundierte Expertise – auch unter Einbeziehung externer Expert*innen – und gute Praxisbeispiele aus dem Programm selber zusammen. Wir bieten also eine Kompetenzentwicklung in Netzwerkformaten an: wir kombinieren das Wissen von Projektträgern, externer Expertise und unserem eigenen Know-how.
Wichtig ist, auch hier die Querschnittsthemen immer von Anfang an zu integrieren. Nehmen wir das Beispiel der Zielgruppenerreichung: Wer soll erreicht werden? Sind Frauen und Männer in ihrer Vielfalt gleichermaßen in der Gruppe vertreten? Spielt das Geschlecht und eine Migrationsbiografie bei der Betroffenheit (Schulabschluss, Langzeitarbeitslosigkeit, Einsamkeit) eine Rolle? Erreiche ich Menschen mit Behinderung, wie sieht es mit der Altersstruktur aus? Schon bei der Beschreibung der Ausgangslage eines Förderprogrammes oder eines Projektes ist also die Gleichstellung und die Antidiskriminierung zu berücksichtigen. Durch diese genauere Analyse können die Ziele besser definiert und erreicht werden.
Es gibt immer wieder die Aussage "Bei uns können doch alle mitmachen". Wenn ich aber im Rollstuhl sitze oder kein Geld für den ÖPNV habe oder meine Kinder in den Randzeiten nicht betreut bekomme, dann bin ich strukturell ausgegrenzt. Diese Ausgrenzungsmechanismen gilt es von Anfang an zu identifizieren und auszugleichen. Dieses Wissen zu vernetzen und weiter zu geben – dafür sind wir da. Auch zunächst zögerliche Akteur*innen können dann sehen, wie einfach es sein kann, sich auf den Weg zu machen und am Ball zu bleiben.
Wie sieht die Bilanz Ihrer Arbeit zur Umsetzung der Querschnittsthemen in der aktuellen ESP-Plus Förderperiode nach drei Jahren aus?
Meseke: Unsere Arbeit und Beratung hat vor allem einen arbeitsmarktpolitischen Bezug: Was bedeuten Gleichstellung, Antidiskriminierung und Ökologische Nachhaltigkeit in der beruflichen Bildung, bei der Gründung, bei der KMU-Förderung, bei der sozialen Inklusion usw.? Wir erleben, dass unsere Arbeit von vielen Akteur*innen geschätzt wird; unsere Angebote und Empfehlungen angenommen und im jeweiligen Kontext weiterentwickelt werden. Das macht die Querschnittsthemen für die konkrete Programm- und Projektarbeit erfahrbar und lebendig.
In den letzten Jahren wurde bei der Programmkonzeption und -umsetzung noch mehr Wert auf Geschlechterparität und gezielte Ansprache von Menschen mit Migrationsbiografie gelegt. Beides wird im ESF Plus höher bewertet bzw. stärker berücksichtigt als in anderen nationalen Fördersystemen. Aber auch im Bereich der Ökologischen Nachhaltigkeit hat sich enorm viel getan. Ging es vor 10 Jahren noch darum, weniger zu kopieren und das Licht öfter auszuschalten, sind heute bzw. in dieser Förderperiode bildungs- und berufsbezogene Nachhaltigkeits-Programme, das "Greening von Berufen" insgesamt und umweltgerechte Projektgestaltungen in hoher Anzahl anzutreffen. Das ist beeindruckend!
Dennoch bleibt noch einiges zu tun, um eine selbstverständliche Integration der Querschnittsthemen auf allen Ebenen der Umsetzung zu erreichen.
Die jetzige Förderperiode geht bis 2027. Wie sehen Sie die Bedeutung der Querschnittsthemen danach, in einem zukünftigen ESF?
Meseke: Die aktuellen Planungen der Europäischen Kommission bereiten uns Sorgen. Die Pläne für den Mehrjährigen Finanzrahmen und die grundlegend neu entwickelten Verordnungsentwürfe für die Kohäsionspolitik enthalten so massive Neuerungen, dass aus unserer Sicht bisher kaum jemand die Querschnittsthemen betrachtet. Wir erkennen in den Entwürfen aktuell eine grundlegend veränderte Zielhierarchie. Die Querschnittsthemen, sind zwar nicht "weg", aber ihre Gewichtung und Umsetzung scheinen mir zum jetzigen Zeitpunkt stark interpretationsbedürftig. Inhalte zu gleichstellungspolitischen Zielen sind in den Entwürfen für die Förderperiode ab 2028 kaum zu finden. Die Antidiskriminierung wird eng an die Soziale Inklusion bzw. Armutsbekämpfung gebunden. Und die Ökologische Nachhaltigkeit ist nach jetziger Interpretation kein Bereichsübergreifender Grundsatz mehr, jedoch in übergeordneten Zielen verankert.
Auch befürchten wir, dass unter der Maßgabe der Entbürokratisierung die Operationalisierung der Querschnittsthemen stark reduziert wird. Das wäre fatal, denn wir benötigen stärkere Anstrengungen für alle drei Themen, nicht weniger. Wir hoffen also sehr, dass in den Trilog-Verhandlungen (Anmerkung: informelle Verhandlungen innerhalb des EU-Gesetzgebungsverfahrens zwischen Vertreter*innen des Europäischen Parlaments, des Rates der EU und der Europäischen Kommission) nachgebessert und beispielsweise der sehr erfolgreiche Doppelansatz aus spezifischen Interventionen und integrierten Maßnahmen beibehalten wird. So wie der ESF Plus dies auf Bundesebene seit vielen Förderperioden eindrucksvoll zeigt.