Digitales Expertensystem für die Werkstoffprüfung
- Datum
- 27.10.2022
Hochwertige Werkstoffprüfung ist das A und O in der Produktion. Eine zuverlässige Bestimmung bzw. Vorhersage der Eigenschaften von Materialien und Komponenten ist einer der Eckpfeiler moderner technologischer Innovationen - nahezu drei Viertel aller neuen Erzeugnisse beruhen auf neuen Werkstoffen. Das Wissen über Werkstoffe wächst exponentiell. Was jedoch fehlt, ist eine Bündelung der Informationen und des vielfältigen Wissens, die weit versteut sind. Es kommen viele Techniken und Wissensbereiche zusammen, aber auch Erfahrungswissen spielt eine große Rolle. Das Forschungsprojekt "DiWan" will ein Assistenz- und Expertensystem entwickeln, das neueste Erkenntnisse aus wissenschaftlichen Aufsätzen über Werkstoffe und die Anforderungen aus einschlägigen Standards genauso parat hält wie das Praxiswissen von Erfahrungsträgern.
Hochwertige Werkstoffprüfung ist ein Schlüssel für viele Innovationen
Die Genese neuer Werkstoffe und die Analyse ihrer Eigenschaften gehört zu den Schlüsselaufgaben für viele Innovationen in der Industrie. Genaue Kenntnisse etwa darüber, welcher Stahl wie schnell korrodiert, welche Legierung wie hart ist oder welche Metalle sich mit additiven Fertigungsanlagen verarbeiten lassen - all dies ist oft essenziell, um marktführende Produkte überhaupt entwickeln zu können.
Dabei mangelt es nicht etwa an Informationen: Das Wissen über Werkstoffe wächst exponentiell und kein*e Forschende*r kann die Menge dieses Wissens jederzeit parat haben und zielgerichtet zur Verfügung stellen. Außerdem sind viele Informationen weit verstreut: in Werkstoff-Datenblättern zahlreicher Hersteller, in wissenschaftlichen Untersuchungen, die in verschiedenen Zeitschriften erschienen sind, in Normen und diversen Fachdatenbanken. Zu all diesen bereits vorhandenen Informationen kommen die Ergebnisse hinzu, die täglich in den eigenen Labors von Firmen und Forschungseinrichtungen gewonnen werden. Diese Daten müssen sicher, strukturiert und wiederauffindbar gespeichert werden.

Alle Daten stehen also prinzipiell zur Verfügung, sind aber nicht gebündelt auffindbar. Das Projekt "DiWan" entwickelt digitale Helfer, die dieses Wissen leicht abrufbar und nutzbar machen. Gemeinsam wollen die Projektbeteiligten zunächst ein elektronisches Laborbuch, eine Wissensdatenbank und ein digitales Labormanagementsystem entwickeln. Aus diesen Komponenten entsteht schließlich ein virtueller Experte, der für die moderne Werkstoffprüfung ganz neue Möglichkeiten schafft.
f1zDie Forschenden unternehmen auch Schritte in Richtung einer Ontologie 1 der Werkstoffkunde. Es handelt sich dabei um ein Begriffsnetzwerk, das über eine bloße Verwaltung von Daten hinausgeht, indem es auch deren Beziehungen untereinander beschreibt.
Digitale Assistenten können beispielsweise die Qualität und das Tempo von Werkstoffuntersuchungen verbessern. Sind erfahrene Kolleg*innen nicht gleich greifbar, kann eine Konsultation des digitalen Assistenten weiterhelfen - etwa um eine neue Rezeptur für einen geätzten metallographischen Schliff zu planen. Auch ist nicht ausgeschlossen, dass die virtuellen Experten neue Querverbindungen und Erkenntnisse aus den bisher verstreuten Wissensquellen herstellen. Die Werkstoffprüfer*innen können ihre Expertise effizienter und umfassender erweitern - ganz im Sinne des lebenslangen Lernens.
Arbeitswissenschaftlerinnen begleiten Wandel in der Arbeitswelt
Durch Konzepte, wie sie das Projekt "DiWan" verfolgt, wird sich der Arbeitsalltag in vielen Laboren deutlich wandeln. Die Digitalisierung bietet die Chance, ganze Unternehmenskulturen zu verändern. Daher ist die Begleitung des Projekts durch Arbeitswissenschaftlerinnen der TU Dresden ein entscheidender Baustein zum Erfolg. Die Forscherinnen rechnen damit, dass sich das selbstverständliche Zusammenspiel zwischen Werkstoffprüfer*innen und virtuellen Experten zuerst unter den Jüngeren der "Generation Smartphone" durchsetzen wird. Denn wer es ohnehin gewohnt ist, private Aktivitäten im Internet zu dokumentieren und digitale Plattformen zum Austausch zu nutzen, wird auch im Rahmen der Werkstoffprüfung im Labor ganz selbstverständlich Digitalbilder von Analysebefunden hochladen und mit digitalen Expertensystemen kollaborieren.

Langfristig sollen die im Projekt "DiWan" gewonnenen Ergebnisse auch in die Ausbildungslehrpläne der Werkstoffprüfer*innen einfließen. Es soll aber auch wichtiges immaterielles Kapital eines jeden Technologieunternehmens bewahren: Das Wissen in den Köpfen der Mitarbeiter*innen. Mit der digitalen Unterstützung soll verhindert werden, dass dieser Sachverstand verloren geht, wenn ein*e Werkstoffprüfer*in den Job wechselt oder in Rente geht. Im Projekt wird deshalb erforscht, wie Erfahrungswissen strukturiert speicherbar ist.
Sieben Partner arbeiten im Projekt
Am Projekt "DiWan" sind sieben Partner beteiligt: Das Fraunhofer IWS ist Projektkoordinator und bringt sein Know-how in der Werkstofftechnik ein. Das "Zentrum für Produktionstechnik und Organisation (CIMTT)" der TU Dresden konzentriert sich auf arbeitswissenschaftliche Aspekte, die Informatik-Professur für Datenbanken der TU Dresden auf die neuen "DiWan"-Wissensdatenbanken. Aus der Wirtschaft sind folgende Partner dabei: das Materialforschungszentrum "IMA" aus Dresden, der Ingenieurbetrieb »imq« aus Crimmitschau, der Prüftechnikhersteller "Hegewald & Peschke" aus Nossen und der auf elektronische Laborbücher (ELN) spezialisierte Softwarehersteller "Labforward" aus Berlin. Damit sind in diesem Projekt die Kompetenzen aus allen wichtigen Bereichen zur Digitalisierung der Werkstoffprüfung gebündelt.
Das Programm "Zukunft der Arbeit"
Das Forschungsprojekt "DiWan" wird im Rahmen des Programms "Zukunft der Arbeit" vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und dem Europäischen Sozialfonds gefördert. Das Programm greift die Herausforderungen auf, die für Unternehmen (insbesondere KMU) und Menschen durch Strukturwandel, Technisierung und zunehmende Globalisierung in der Arbeitswelt entstehen, und lädt Unternehmen und Forschungseinrichtungen ein, mit innovativen Forschungsprojekten aktiv die Zukunft unserer Arbeitswelt mitzugestalten. Ziel des Programms ist es, technologische und soziale Innovationen gleichermaßen voranzubringen. Dazu sollen neue Modelle der Qualifizierung, der Gesundheitsprävention, der Arbeitsgestaltung und -organisation in und mit Unternehmen entwickelt und als Pilotprojekte in die betriebliche Praxis überführt werden. Dabei liegt der Fokus besonders auf branchenübergreifenden und interdisziplinären Projekten.
Weiterführende Informationen zum Programm "Zukunft der Arbeit" finden Sie auf dem ESF-Webportal sowie auf der Programmwebsite des BMBF.
Glossar:
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Ontologien im Datenmanagement sind meist sprachlich gefasste und formal geordnete Darstellungen einer Menge von Begriffen und der zwischen ihnen bestehenden Beziehungen in einem bestimmten Gegenstandsbereich (in Anlehnung an den klassischen Begriff der Ontologie).
Sie werden dazu genutzt, "Wissen" in digitalisierter und formaler Form zwischen Prozessen (oft Anwendungsprogrammen) und Diensten auszutauschen. Wissen umfasst dabei sowohl Allgemeinwissen als auch Wissen über sehr spezielle Themengebiete und Vorgänge.